Düsseldorf Thyssenkrupp in Turbulenzen

Düsseldorf · Die Fusionsgespräche mit Tata Steel ziehen sich in die Länge. Vorstandschef Hiesinger gerät von mehreren Seiten unter Druck.

Die Verhandlungen waren so gut wie abgeschlossen, jetzt sollte die Pressemitteilung vorbereitet werden. Im Juni 2016 waren sich die Manager von Thyssenkrupp und Tata Steel Europe schon handelseinig, wie Insider berichten. Auch Spitzengewerkschafter waren bereits in die Grundzüge der Stahlfusion mit dem britisch-indischen Tata-Konzern eingeweiht. Doch dann kam die Abstimmung zum Brexit. Über Nacht war die Einigung hinfällig: die Zusicherungen der britischen Regierung ebenso wie die Zusagen, EU-Mittel für die Stilllegung von Stahlkapazitäten anzapfen zu können.

Jetzt, 18 Monate später, ziehen sich die Gespräche hin, und allenthalben wächst die Ungeduld. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die endgültigen Unterschriften erst Ende 2018 unter die Verträge gesetzt werden - ganze zweieinhalb Jahre, nachdem die Verhandlungen öffentlich wurden. In dieser Zeit gingen andere internationale Fusionen längst vergleichsweise geräuschlos über die Bühne, etwa bei Linde und Praxair.

Das Thyssenkrupp-Management um Vorstandschef Heinrich Hiesinger gerät zusehends unter Druck. Investoren wie der Finanzinvestor Cevian oder die Fondsgesellschaft Union Investment üben inzwischen auch öffentlich Kritik. Aufsichtsratschef Ulrich Lehner gibt dem Vorstand zwar Rückendeckung: "Der Vorstand bekommt viel Lob vom Kapitalmarkt für die eingeschlagene strategische Weiterentwicklung", sagte er kürzlich im Interview mit dem "Handelsblatt". Eine kritische Bemerkung aber konnte auch er sich nicht verkneifen: "Natürlich fragen auch wir Aufsichtsräte, ob es nicht hier und da schneller gehen kann."

Der Thyssenkrupp-Chef kämpft zurzeit an vielen Fronten. Die Gespräche mit den Arbeitnehmern über die Fusion mit Tata Steel Europe laufen längst nicht so glatt, wie es der frühere Siemens-Manager gewohnt ist. Die IG Metall hat einen Forderungskatalog mit zehn Punkten aufgestellt. Einer der wichtigsten Punkte ist eine zehnjährige Garantie für Standorte und Beschäftigung. Oder wie es die Gewerkschaft nennt: ein Jahrzehnt der Sicherheit. "Davon werden wir auf keinen Fall abgehen", sagte Stahlbetriebsratschef Günter Back unserer Redaktion. Geregelt werden solle dies in einem Tarifvertrag.

Den Arbeitnehmern ist das wichtig, denn nur so wären Arbeitskämpfe erlaubt, sollte es später zu Verstößen kommen. Bis zum 22. Dezember wollen sie Gewissheit, dann läuft ein Ultimatum aus, das sie dem Vorstand gesetzt haben. Noch vor Weihnachten hätten damit die IG-Metall-Mitglieder Gelegenheit, über das Ergebnis abzustimmen.

Doch es gibt noch weiteres Konfliktpotenzial. Der Konzern-Aufsichtsrat hatte vor Kurzem auf Betreiben der Arbeitnehmer ein Wirtschaftsprüfer-Gutachten in Auftrag gegeben, das die Wirtschaftlichkeit der Fusion mit Tata und die Regelungen zu den 14 Milliarden Pfund britischen Pensionsverpflichtungen abklopfen soll, die Tata in das Joint Venture mit einbringt. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass dieses Gutachten so negativ ausfällt, dass eine Fusion nicht zu vertreten wäre. Die Arbeitnehmer könnten es aber als weiteres Druckmittel nutzen, um weitere Forderungen durchzusetzen, meinen Beobachter. Bis die Ergebnisse bekannt sind, dürften noch einige Wochen vergehen.

In der Zwischenzeit wächst die Unruhe im Aktionärskreis. Seit vier Jahren gebe es im Gesamtkonzern keine sichtbaren Fortschritte, kritisierte jüngst Cevian-Gründer Lars Förberg. Er sprach von "besorgniserregenden Ergebnissen" und bemängelte, Hiesinger habe seine selbst gesteckten Margenziele nicht erreicht und bleibe hinter Konkurrenten zurück. Förberg bezweifelt auch, dass Thyssenkrupps Sparten jenseits des Stahls gute Perspektiven haben. Die Schweden halten rund 18 Prozent der Anteile und dürften an einem zweiten Sitz im Aufsichtsrat interessiert sein.

Insgesamt sind internationale Publikumsfonds nach Konzernangaben mit knapp 70 Prozent an Thyssenkrupp beteiligt. Weil allein die Aufzugssparte mehr wert ist als das gesamte Unternehmen, würde eine Zerschlagung des Traditionskonzerns rechnerisch Sinn machen.

Die Phalanx der Unzufriedenen wächst. Auch eine renommierte amerikanische Fondsgesellschaft und ein deutscher Investor teilen laut Insidern die Kritik. Wie viele Anteile sie insgesamt auf sich vereinen, ist nicht bekannt. Immerhin weiß Hiesinger den größten Aktionär, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, an seiner Seite. Sie hält noch knapp 21 Prozent der Anteile und verfügt zusammen mit der Arbeitnehmerseite über eine Mehrheit im Aufsichtsrat.

Nicht nur bei Investoren verliert Hiesinger an Rückhalt. Auch einzelne Belegschaftsvertreter schlagen nach wie vor ungewohnt scharfe Töne an. Und das, obwohl die IG Metall nach den Protesten und Großdemonstrationen der vergangenen Wochen nun eigentlich die Gemüter abkühlen und allmählich auf Konsens umschwenken will, wie es in informierten Kreisen heißt. So bekräftigte Stahlbetriebsratschef Back gegenüber unserer Redaktion: "Wenn Hiesinger mit dem besten Stahlstandort Europas nichts anfangen kann, ist er nicht mein Mann."

(RP)
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