Gastbeitrag Susanne Hilger Silicon NRW

Der digitale Wandel stellt Wirtschaft und Gesellschaft vor Herausforderungen. Unsere Autorin findet: NRW ist in vielen Bereichen bereits gut aufgestellt.

Das kalifornische Silicon Valley ist der Inbegriff für den amerikanischen Gründergeist. Google, Facebook und Apple stehen für die fruchtbare Symbiose von kollaborativer Innovationskultur, nahezu unerschöpflichem Risikokapital und wirtschaftlichem Erfolg. In seinem Buch "Silicon Germany" bezweifelt der Journalist Christoph Keese, dass das US-Modell in Deutschland Fuß fassen könne. Die traditionelle, ingenieursgetriebene, deutsche Innovationskultur sei dem rasanten digitalen Transformationsprozess nicht gewachsen.

Gilt dies auch und besonders für NRW? Wie positioniert sich das Bundesland, das im 19. Jahrhundert Innovationsgeschichte geschrieben hat, im Digitalisierungsprozess?

Allen Unkenrufen und Zweiflern zum Trotz: Es gibt sie, die Innovationsschmieden "made in NRW". Angestoßen durch eine Landesinitiative bereiten seit 2016 sogenannte Digital Hubs als regionale Schnittstellen der Digitalisierung den Boden für eine neue Innovationskultur. Die vernetzte Zusammenarbeit von Gründern, Start-ups, großen Technologieunternehmen und exzellenter Wissenschaft erinnert zumindest an die Think Tanks im Silicon Valley, obwohl in NRW im Vergleich zu den US-Vorbildern mit Blick auf das bereitgestellte Risikokapital eher gekleckert als geklotzt wird.

Neben München, Hamburg, Frankfurt und Berlin gehört ausgerechnet der ehemalige Stahlstandort Dortmund zu den Hightech-Pionieren. Durch eine enge Verzahnung mit der TU Dortmund ist hier, gefördert durch Landesinitiative, ein sogenanntes ITK-Cluster entstanden, das sich auf ein 1985 auf dem Uni Campus gegründetes Technologiezentrum stützt. Damit siedelten sich im Dortmunder Raum mehr als 17.000 Arbeitsplätze in der Software- und Kommunikationssparte an. Heute ist die Einrichtung mit 800 Start-ups einer der größten Technologieparks in Europa.

Auch aus dem Industriestandort Düsseldorf wurde, nicht zuletzt initiiert durch die strategische Kehrtwende des Röhrenherstellers Mannesmann zum diversifizierten Technologiekonzern Ende der 80er-Jahre, die Hauptstadt der Mobiltelefonie.

Bei genauerem Hinschauen findet sich somit nicht ein Silicon Valley in NRW, sondern derer viele. Sie reichen von Ostwestfalen bis Aachen und von der Rheinschiene bis Paderborn. Diese Regionen schöpfen nicht nur aus den Erfahrungen des industriellen Strukturwandels, sondern profitieren von der dichten Hochschullandschaft und einer starken mittelständischen Struktur. Der Mittelstand in NRW gilt, zumindest seit den 1970er Jahren, als Innovationsmotor und bringt die notwendige Flexibilität mit, um neue technologische Ansätze rasch zur Anwendungsreife zu bringen.

Die davon ausgehenden Innovationseffekte können nicht unterschätzt werden. Nahezu jeden zweiten Tag wird im Umfeld der RWTH Aachen ein Start-up gegründet. Und auch im Ruhrgebiet blüht die Start-up-Szene. Hier sind zehn Prozent aller deutschen Start-ups zu Hause.

Solche Firmen und Initiativen treiben den digitalen Strukturwandel in NRW voran. Das verdient Anerkennung. Es fragt sich sogar, ob NRW mit den regionalen Innovationsclustern nicht zum Modell taugt - für die von einer anhaltenden Strukturkrise heimgesuchten US-Standorte wie den sogenannten Rust Belt im mittleren Westen der USA.

Allerdings droht der sich nicht nur in NRW abzeichnende, eklatante Mangel an Fachkräften die digitale Blüte in den Regionen zu gefährden. Daraus ergeben sich wichtige Herausforderungen für den Bildungssektor. Um von der digitalen Transformation unserer Lebens- und Arbeitswelten zu profitieren, braucht es die Kreativität jedes Einzelnen.

Mit Blick auf die bahnbrechenden Veränderungen der digitalen Revolution hat das Weltwirtschaftsforum in Davos 2016 eine Studie mit dem Titel "The Future of Jobs" herausgegeben. Demnach wird Kreativität im Jahr 2020 auf Platz drei der wichtigsten Fähigkeiten stehen. Kreativität bedeutet, neue Ideen nicht nur zu generieren, sondern diese auch zur Anwendung zu bringen. Dazu gehört eine fast spielerische Experimentierfreude und eine in Deutschland lange verpönte Risikokultur, die Bestehendes in Frage stellt, Visionen entwickelt und unbekannte Pfade betritt. Fähigkeiten wie diese sollten schon in der allgemeinbildenden Schule gefördert werden.

SUSANNE HILGER IST AUSSERPLANMÄSSIGE PROFESSORIN FÜR WIRTSCHAFTSGESCHICHTE AN DER DÜSSELDORFER HEINRICH-HEINE-UNIVERSITÄT.

(RP)
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