Wladimir Putins Gas-Coup Die neuen Pipelines sollen Ukraine überflüssig machen

St. Petersburg · Die Gasgroßmacht Russland beginnt nach allem Streit um zu viel Einfluss auf Europas Energiemarkt eine überraschende Charmeoffensive für den Bau neuer Pipelines. Zwei weitere Stränge - Nummer 3 und 4 der Nord-Stream-Leitung - sollen durch die Ostsee nach Deutschland verlegt werden.

 Das Pipeline-Verlegeschiff "Castoro 10" verlegt im Greifswalder Bodden Rohre für die Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream.

Das Pipeline-Verlegeschiff "Castoro 10" verlegt im Greifswalder Bodden Rohre für die Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream.

Foto: dpa

Das allein ist schon ein Paukenschlag. Den eigentlichen Coup aber soll es erst an diesem Freitag auf dem internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg geben. Dann sehen sich Kremlchef Wladimir Putin und Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras wieder.

Im Beisein der Politiker soll eine Absichtserklärung über den Weiterbau der geplanten Gasleitung Turkish Stream von der Türkei nach Griechenland unterzeichnet werden. Die Russen versprechen den vom Bankrott bedrohten Griechen nicht nur einen Milliardenvorschuss für den Pipelinebau. Für die Zukunft soll das chronisch klamme EU-Land eine dauerhafte Einnahmequelle haben - Hunderte Millionen Euro jährlich für den Gastransit nach Westeuropa.

Es gehe um eine sichere und zuverlässige Versorgung der EU, betont der Chef des Energieriesen Gazprom, Alexej Miller. Erst Ende vorigen Jahres hatte der Konzern seine Pläne für die Leitung South Stream wegen Widerstandes der EU platzen lassen. Die Rohstoffmacht drohte damals, sich völlig vom Westen abzuwenden und sich künftig vor allem auf das energiehungrige China zu konzentrieren. Nun der neue Versuch einer Annäherung an den Westen - allen politischen Spannungen und Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts zum Trotz.

Es versetzt die Russen in Hochstimmung angesichts der politischen Ausgrenzung durch die EU und die USA, dass die westlichen Energieversorger Eon, OMV und Shell mit Gazprom die Ostseepipeline erweitern wollen. Sie feiern das als starkes Signal in Krisenzeiten. Als technisch machbar und umweltverträglich gilt ein möglicher Ausbau schon lange. Auch die zwei neuen Stränge sollen in Lubmin bei Greifswald anlanden.

Vor allem aber dürfte Gazprom nun auf den Druck der westlichen Partner setzen, die neuen Röhren politisch durchzusetzen. Ungelöst ist nämlich die Frage einer vollen Nutzung der Opal-Leitung. Diese deutsche Verlängerung von Nord Stream ist nur zu 50 Prozent ausgelastet. Bisher hakte eine auch von westlichen Versorgern geforderte Freigabe auf 100 Prozent stets an der Politik.

Auch die Wintershall AG in Kassel denkt über eine Mitarbeit an den neuen Strängen nach. "Zu einer Beteiligung sind wir im Gespräch", sagte ein Unternehmenssprecher der Deutschen Presse-Agentur in St. Petersburg. Seit Jahren arbeite Wintershall mit Gazprom bei der Erdgasgewinnung in West-Sibirien eng zusammen. Die Deutschen und Russen hätten bei Nord Stream "Pionierarbeit" geleistet und bereits mehr als 4000 Kilometer gemeinsam gebaut.

Das Ziel dieser Pipeline-Strategie ist klar. Russland will die Ukraine nach Auslaufen der Verträge als bisher wichtigstes Transitland für die Gaslieferungen in die EU von 2020 an ausschalten. Grund ist nicht nur der schwere Ukraine-Konflikt. Russland sucht bereits seit Jahren eine Alternative zu dem dringend sanierungsbedürftigen Transitnetz.

Im Gegenzug soll die Transit-Rolle Griechenlands und der Türkei wachsen. Es geht um 50 Milliarden Kubikmeter Gas, die jährlich durch die Rohre von Turkish Stream nach Westeuropa strömen könnten. Schon bis Ende nächsten Jahres will Gazprom den ersten Strang durch das Schwarze Meer verlegt haben.

Von 2017 an will der Konzern 15,57 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Leitung zunächst in die Türkei pumpen - für den Eigenverbrauch. Ob Turkish Stream dann aber künftig tatsächlich auf die geplante Gesamtleistung von 63 Milliarden Kubikmeter jährlich kommt, das garantiert vorerst niemand. Der Widerstand gegen Putins neues Großprojekt ist auch diesmal groß.

Die EU will unabhängiger von russischem Gas werden. Sie sucht deshalb nach Alternativen mit den autoritären Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Turkmenistan am gasreichen Kaspischen Meer. Die Russen und ihre europäischen Partner locken deshalb die EU-Politiker auch mit dem Versprechen, dass ihre Gaslieferungen weiter unschlagbar günstig bleiben würden. Andere Varianten seien viel zu kostspielig, meinte unlängst Russlands EU-Botschafter in Brüssel, Wladimir Tschischow. Der Russe sieht bei den EU-Beamten im Fall Turkish Stream die Bereitschaft, über das Projekt zu reden.

(dpa)
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