Hohe Mieten schlucken Mehrverdienst Mindestlohn bringt Singles im Westen wenig

Berlin · Wegen hoher Mieten in Westdeutschland lohnt sich eine Vollzeit-Stelle für Geringverdiener oft nicht. Das geht aus einer Anfrage an die Bundesregierung hervor. Die Linke verlangt eine deutliche Anhebung des Mindestlohns.

 Der Mindestlohn im deutschen Vergleich.

Der Mindestlohn im deutschen Vergleich.

Foto: Ferl

Für Geringverdiener in den westdeutschen Ballungsräumen lohnt sich das Arbeiten wegen zu hoher Mieten oft immer weniger. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach bringt ein Vollzeitjob mit einem Mindestlohn-Stundenverdienst von 8,50 Euro in vielen westdeutschen Städten zu wenig ein, um den gesetzlich definierten Existenzbedarf eines Alleinstehenden von netto 1053 Euro monatlich zu decken.

Der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gilt seit dem 1. Januar 2015 flächendeckend in Deutschland. Die Mieten liegen jedoch deutlich auseinander: Im Westen müssen für Wohnungen in der Regel deutlich höhere Quadratmeterpreise bezahlt werden als im Osten. Innerhalb Westdeutschlands müssen zudem in Hamburg, Köln, Düsseldorf, Stuttgart oder München besonders hohe Mieten bezahlt werden. Geringverdiener, die den Mindestlohn erhalten, können sich diese hohen Mieten oft kaum leisten, wie die Antwort der Bundesregierung zeigt. Für sie könnte ein Hartz-IV-Bezug lohnender sein. Viele Geringverdiener in den Städten verringern auch absichtlich ihren Arbeitsumfang, um ihr Erwerbseinkommen dann mit ergänzenden Hartz-IV-Leistungen aufzustocken.

Der Antwort zufolge erhält eine alleinstehende Person mit einer Wochenarbeitszeit von 37,7 Stunden und einem Mindestlohn von 8,50 Euro einen monatlichen Bruttolohn von 1388,62 Euro. Davon gehen laut dem Papier Sozialbeiträge und Steuern von 358,38 ab. Netto bleiben demnach 1040,27 Euro übrig für die Lebenshaltungskosten. Der durchschnittliche Existenzbedarf alleinstehender Erwerbstätiger betrage jedoch 1053 Euro und läge damit um 13 Euro über dem Gehalt. Der Existenzbedarf setze sich zusammen aus dem Hartz-IV-Regelsatz von 404 Euro, den durchschnittlichen Kosten der Unterkunft von 349 Euro sowie dem Erwerbstätigenfreibetrag von 300 Euro. Letzterer soll sicherstellen, dass das sogenannte Lohnabstandsgebot gewahrt bleibt: Damit wird garantiert, dass sich Arbeiten mehr lohnt als Nicht-Arbeiten.

Ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger in München habe Anspruch auf einen Mietzuschuss von 492 Euro, so das Papier. Dieser Betrag liege um 156 Euro über dem Existenzbedarf aus einem Vollzeit-Job mit Mindestlohn. In Düsseldorf zahle das Job-Center einen durchschnittlichen Mietzuschuss von 395 Euro. Auch hier bringe ein Mindestlohn-Job 46 Euro zu wenig ein.

Für den Linken-Politiker Klaus Ernst bedeuten die hohen Mietbelastungen für Geringverdiener, dass der Mindestlohn deutlich erhöht werden muss. "In großen Teilen des Westens und in Ballungsgebieten hängt man mit 8,50 Euro weiter am Tropf des Staates", sagte er. "Der Mindestlohn muss ganz deutlich höher liegen, als derzeit durch die Mindestlohnkommission angedacht wird." Die unabhängige Kommission will am 28. Juni ihre Empfehlung für die Mindestlohnhöhe ab 1. Januar 2017 vorlegen. Zu erwarten ist eine Anhebung auf 8,80 Euro.

Ökonomen halten dagegen, dass eine Mindestlohnerhöhung ungeeignet ist, um Geringverdiener vor zu hohen Lebenshaltungskosten zu schützen. Es sei unseriös, den Erwerbsfreibetrag von 300 Euro hinzuzurechnen, um das Existenzminimum zu errechnen, sagte Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Der Mindestlohn sei ohnehin kein Instrument der Existenzsicherung: Wenn jemand eine Familie habe, reiche ein Mindestlohn-Job ohnehin nicht, um die Lebenshaltungskosten zu bezahlen.

Entlastung bei Sozialversicherungsbeiträgen für Geringverdiener

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, forderte, nicht den Mindestlohn stark zu erhöhen, sondern die Sozialabgaben für Geringverdiener zu senken. "Oberste Priorität sollte eine Entlastung der Sozialversicherungsbeiträge sowohl für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als auch für die Unternehmen sein", sagte Fratzscher. "Denn nur wenn es wieder attraktiver wird für Unternehmen, Menschen einzustellen und in sie zu investieren, werden Produktivität und Einkommen gerade der Geringverdiener steigen können."

(mar)
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