Verbraucherzentralen-Chef Klaus Müller im Interview "Die Prioritäten beim Verbraucherschutz müssen sich ändern"

Düsseldorf · Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht der neue Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, über Datenschutz, Kosten für die Altersvorsorge und das geplante Marktwächter-System im bereich Finanzen.

 Klaus Müller ist nun der oberste deutsche Verbraucherschützer.

Klaus Müller ist nun der oberste deutsche Verbraucherschützer.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Seit Freitag sind Sie Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Sind Sie damit Deutschlands oberster Verbraucherschützer?

Müller Als Chef der Verbraucherzentrale in NRW war ich bislang ein Dienstleister für etwa 850.000 Verbraucher, die uns pro Jahr in Anspruch genommen haben. Meine neue Aufgabe ist viel politscher. Der Bundesverband ist die Stimme der Verbraucher in Deutschland und vertritt ihre Interessen gegenüber der Politik. Die Medien machen daraus gerne, dass ich Deutschlands oberster Verbraucherschützer bin.

Ist das nicht in Wirklichkeit der Bundesminister für Verbraucherschutz, Heiko Maas?

Müller Herr Maas muss die richtigen Kompromisse finden, wenn er den Verbraucherschutz im Kabinett umsetzen will. Das werden wir auch sehr stark von ihm einfordern. Als unabhängiger Verband haben wir mehr Freiheiten.

Bislang war der Verbraucherschutz im Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung angesiedelt. Jetzt gehört er zum Justizministerium. Ist das besser?

Müller Ja. Die frühere Verbraucherministerin Ilse Aigner hat die Probleme zwar immer richtig adressiert, hatte aber zu wenig Einfluss auf deren Lösung. Jetzt ist das anders. Das Justizministerium kann selbst Gesetze auf den Weg bringen, zumal viele Verbraucherprobleme ohnehin Rechtsfragen sind. Es ist besser, wenn beides in einer Hand liegt, wobei wir die Ernährung nicht vergessen wollen, die weiterhin im Landwirtschaftsministerium angesiedelt ist.

Was hat Ihnen in NRW nicht gefallen?

Müller Ich war acht Jahre in NRW, und es hat mir hier gut gefallen. Wir konnten hier mit einem hervorragenden Team eine sehr effektive und alltagsorientierte Verbraucherberatung durchführen. Für strukturelle und politische Rahmenbedingungen sind dann Berlin oder Brüssel zuständig, und die erreicht man besser über den Bundesverband.

Was wollen Sie denn auf Bundesebene erreichen?

Müller Ich möchte die Prioritätenliste im deutschen Verbraucherschutz umstellen. Klassischerweise ist die Verbraucherpolitik stark von Skandalen getrieben. Es gibt einen Fleischskandal oder einen Skandal um die Folgen einer Bankenpleite. Dann wird ein Zehn-Punkte-Plan verabschiedet, und der ist nach zwölf Wochen wieder vergessen. Ich möchte mich mehr auf die Themen konzentrieren, die vielleicht weniger in den Schlagzeilen stehen, aber den Verbrauchern im Alltag den größeren Schaden zufügen. Über die Beratung in den 200 deutschen Verbraucherberatungen haben wir Antworten auf die Frage, was die größten Alltagsprobleme der Verbraucher sind. Bislang galt: Dringend schlägt wichtig. Ich möchte das umkehren: Wichtig geht vor dringend. Wir werden Verbrauchern in Krisen weiterhin zur Seite stehen, aber mehr Energie auf die Lösung von strukturellen Problemen verwenden.

Was sind die drei am meisten unterschätzten Verbraucherprobleme in Deutschland?

Müller Die versteckten Kosten der Altersvorsorge, die über unzureichend transparente Abschlussgebühren, Ausgabeaufschläge und sonstige Nebenkosten von Altersvorsorge-Produkten entstehen. Die Verbraucher haben kaum Möglichkeiten, diese Kosten zu ermitteln und können deshalb auch nicht zwischen unterschiedlichen Anbietern vergleichen. Für diese Nebenkosten zahlt der Verbraucher bei schlechten Produkten mit langer Laufzeit über seine monatlichen Beiträge unbemerkt hohe Summen, die ihm dann im Alter fehlen. Zweites unterschätztes Problem: Die Wärme-Nebenkosten beim Wohnen. Alle reden über den Strompreis, aber die Heizkosten belasten die Verbraucher noch stärker. Drittes Problem: Datenschutz. Wir haben alle das Gefühl, das Internet sei kostenlos. In Wahrheit bezahlen wir dort aber, indem wir professionellen Datensammlern viel über uns verraten. Mit der Folge, dass diese Datensammler Profile von uns erstellen und verkaufen. Unsere digitale Identität muss besser geschützt werden.

Woran können die Verbraucher Ihren Erfolg in fünf Jahren messen?

Müller Die Verbraucherzentralen können leider keine Gesetze machen. Wir können auch keine unseriösen Angebote unmittelbar verhindern. Aber wir können die Wahrscheinlichkeit für gute Gesetze und für ein effizienteres Vorgehen deutlich erhöhen.

Das ist kein messbares Ziel...

Müller Stimmt. Aber man kann ja die Qualität der Feuerwehr auch nicht daran messen, ob es weniger Brände gibt.

Was war ihr größter Erfolg in NRW?

Müller Wir haben einen parteiübergreifenden Konsens für den Ausbau der Beratungsstellen erreicht. Das hat noch unter der schwarz-gelben Landesregierung begonnen und wurde später von Rot-Grün fortgesetzt. Wir werden noch in diesem Jahr die 60. Beratungsstelle eröffnen. Als ich vor 8 Jahren in Düsseldorf angefangen habe, waren es landesweit noch 54 Beratungsstellen. In derselben Zeit ist unser Etat um über xx Prozent auf über 40 Millionen Euro pro Jahr gestiegen.

Was war ihre größte Niederlage in NRW?

Müller Wir sind mit unserer Lebensmittelampel an den Lobbyisten in Brüssel gescheitert. Wir wollten für die Verbraucher auf einen Blick erkennbar machen, ob ein Lebensmittel viel oder wenig Zucker und Fett enthält. Dagegen hat die Industrie in Brüssel erfolgreich interveniert.

Wer ist schlimmer für die Verbraucher: Telekommunikationskonzerne oder Banken?

Müller Aus Verbrauchersicht gibt es in beiden Branchen große Probleme. Telekommunikationskonzerne sorgen mit undurchschaubaren Tarifen und schlechtem Kundenservice häufiger für Verdruss im Alltag. Banken stellen mit oft schlechter mangelhafter Beratung und ihren gefährlichen Produkten ein Risiko dar: Die Verbraucher haben damit seltener zu tun, aber die Folgen können gravierender sein.

Ihre Kritiker sagen, Sie hätten kein Profil. Stimmt das?

Müller Nein. Diese Kritiker verwechseln meinen Pragmatismus mit Profillosigkeit.

Welche Ihrer Projekte in NRW muss Ihr Nachfolger noch beenden?

Müller Es gibt immer noch sechs Kreise in NRW ohne Beratungsstelle: Kleve, Viersen, Heinsberg, Oberbergischer Kreis, Herford und Höxter. Was ich leider außerdem abgebe, ist ein Experiment für aufsuchende Quartiersberatung. Viele könnten sehr von unserer Beratung profitieren, finden aber den Weg nicht zu uns. Mein Nachfolger übernimmt einen Vorschlag, nach dem die Verbraucherzentrale künftig aktiv in Seniorenzentren, Moscheen, Schulen und Jugendvereine geht und dort berät.

Was ist Ihr erstes Projekt in Berlin?

Müller: Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Marktwächter für die Bereiche Finanzen und Digitales. Mein zentrales Angebot an die Politik ist, die Erkenntnisse aus der Beratung unserer bundesweiten Beratung als Frühwarnindikator zu nutzen. Viele Probleme tauchen dort auf und sind ein guter Hinweis auf vorbeugenden Handlungsbedarf für die Aufsicht. Zu meinen ersten Zielen gehört es, ein solches Marktwächter-System mit Unterstützung der Bundesregierung zu etablieren.

Thomas Reisener führte das Interview.

(felt)
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