Berlin Kassen kritisieren Igel-Angebote der Ärzte

Berlin · Frauenärzte, Augenärzte und Orthopäden bieten am häufigsten ihren Patienten Leistungen an, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Nach Ansicht der Kassen sind nur wenige davon positiv zu bewerten.

Berlin: Kassen kritisieren Igel-Angebote der Ärzte
Foto: dpa, Radowski

Die meisten Kassenpatienten haben schon die Erfahrung gemacht, dass ihnen in einer Arztpraxis eine Zusatzleistung angeboten wird, die sie selbst zahlen sollen. In manchen Praxen werden den Patienten die Leistungen sogar regelrecht aufgedrängt. Die Ärzte lassen ihre Patienten eine Erklärung unterschreiben, welche Krankheiten sie bekommen können, wenn sie diese oder jene Vorsorge ablehnen.

Doch welche Leistungen nutzen den Patienten, welche nicht? Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS) nimmt regelmäßig die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (Igel) unter die Lupe und ordnet ihre Wirkung von positiv über unklar bis negativ ein.

Nach den gestern veröffentlichten Daten des Igel-Monitors wirken sich von 41 Angeboten nur drei für die Patienten "tendenziell positiv" aus. Die übrigen Untersuchungen und Therapien werden mit "unklar", "tendenziell negativ" oder gar "negativ" gekennzeichnet. Ein Beispiel: So erhält die Bestimmung des "Immunglobulin G" (bestimmter Antikörper im Blut) gegen Nahrungsmittel das Urteil "negativ". Es gebe keine Hinweise auf Nutzen. Der Test führe bei Patienten zur "unnötigen Einschränkung" der Ernährung.

"Für manche Facharztgruppen ist Igeln zum Volkssport geworden", kritisierte MDS-Geschäftsführer Peter Pick. Bei den Igel-Angeboten gehe es um den Verkauf von Leistungen. Die Information und Aufklärung gerate in den Hintergrund. Pick sprach von "aggressivem Verkaufsdruck". Rund eine Milliarde Euro pro Jahr, schätzen die Krankenkassen, verdienen Ärzte mit den Leistungen. Am häufigsten bieten demnach Frauenärzte und Augenärzte die Selbstzahler-Leistungen an, gefolgt von Orthopäden, Hautärzten und Urologen. Diese fünf Facharztgruppen machten mehr als 70 Prozent der Igel-Angebote.

Die Ärzte, die ihre Selbstzahler-Angebote fachlich in der Regel gänzlich anders bewerten als die Krankenkassen, wehren sich gegen pauschale Verurteilungen. "Es ist falsch, Igel unter Generalverdacht zu stellen", sagte Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Im individuellen Patientenfall könne Igel durchaus medizinisch sinnvoll sein. Gassen verwies auf eine Versichertenbefragung, wonach diese Leistungen von Patienten verstärkt nachgefragt werde.

Auch die Zahnärzte zeigten sich empört. Die Zahnprophylaxe als individuelle Gesundheitsleistung einzustufen, werde der Sache nicht gerecht, heißt es in einer Mitteilung der Bundeszahnärztekammer. Die Zahnprophylaxe sei eine "wissenschaftlich anerkannte, hochwirksame Präventionsleistung", widersprechen die Zahnärzte den Krankenkassen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht hingegen beim Thema Igel den Gesetzgeber gefragt. "Was für Haustürgeschäfte gilt, muss auch für Igel gelten", betonte der Vorsitzende Eugen Brysch. Deshalb sei zwischen dem Angebot des Arztes und der Leistungserbringung eine vierzehntägige Bedenkzeit notwendig.

Neu in der Liste der Krankenkassen ist der Extra-Ultraschall während der Schwangerschaft. Er erhielt das Urteil "unklar". Es gebe keinen medizinischen Nutzen, er sei aber "harmlos". Kostenpunkt: 20 bis 200 Euro. Mehr als die drei Routine-Ultraschalluntersuchungen seien medizinisch nicht nötig, sagte MDS-Expertin Michaela Eikermann.

Bei den Experten der Krankenkassen fielen auch die augenärztliche Messung des Augeninnendrucks zur Glaukom-Früherkennung sowie gynäkologische Ultraschalluntersuchungen zur Früherkennung von Eierstock- und Brustkrebs durch. Der Ultraschall der Brust bekam das Urteil "unklar". Der Ultraschall der Eierstöcke wurde als "negativ" beschrieben, da es in Folge der Untersuchungen viele Fehlalarme und Schäden durch unnötige Operationen gebe.

(qua)
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