728 Millionen Euro ohne Mehrnutzen Kassen betrachten Gesundheitskarte als Flop

Berlin · Die meisten Kassenpatienten haben inzwischen eine elektronische Gesundheitskarte. Einen Zusatznutzen gegenüber der früheren Karte kann die neue nicht vorweisen. Die Kassen fordern finanzielle Sanktionen für die Verantwortlichen.

Daten, Kosten, Sicherheit - die Fakten zur Gesundheitskarte
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Foto: AP

Die Gesundheitskarte sollte das Aushängeschild der schönen neuen Welt des Gesundheitswesen werden. Sie sollte mit ihren gespeicherten Patientendaten für den Notfall Zugriff auf Vorerkrankungen, Blutgruppe und Arzneien bieten sowie Missbrauch und Doppeluntersuchungen vermeiden. Anfangs waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Auch Rezepte sollten einfach über die Karte ausgestellt und eingelöst werden können.

Doch acht Jahre nach dem Start des Projekts ist praktisch nichts geschehen. Und anstatt dass die Karte die erwünschte Effizienz und die erhofften Kosteneinsparungen bringt, kostet sie einfach nur Geld. Zwar trägt die Mehrheit der rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten mittlerweile eine Gesundheitskarte im Portemonnaie. Aber außer, dass sie ein Foto des Versicherten zeigt, hat sie bislang keine Zusatzfunktion.

Den Krankenkassen, die seit 2008 rund 728 Millionen Euro an Beitragsgeldern der Versicherten und der Arbeitgeber in das Projekt Gesundheitskarte investiert haben, ist nun der Geduldsfaden gerissen. Für die Krankenkassen sei die Gesundheitskarte "aufgrund der erheblichen finanziellen Investitionen ohne erkennbaren Mehrnutzen im Vergleich zu der bisherigen Krankenversicherungskarte nicht mehr zu rechtfertigen", heißt es in einer Beschlussvorlage des Verwaltungsrats für eine Sitzung am 27. Juni.

Die Kassen beklagen, dass die Zielsetzungen der elektronischen Gesundheitskarte immer wieder unterlaufen würden. Gemeint sind vor allem die Ärzte, bei denen es von Anfang an erheblichen Widerstand gegen die Gesundheitskarte gab. Der Beschlussvorlage zufolge fordern die Kassen, dass die Leistungserbringer vom Gesetzgeber mit finanziellen Sanktionen belegt werden sollten, sofern sie Termine zur Weiterentwicklung der Gesundheitskarte nicht einhalten.

Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht

Die Kassen sind vor allem deshalb verärgert, weil sie den Eindruck haben, sie hätten selbst ihre Hausaufgaben erledigt, während Ärzte, Apotheker und Kliniken das Projekt verzögern. Der Start der Gesundheitskarte wurde öfter verschoben als die Eröffnung des Berliner Flughafens. Von Ulla Schmidt, über Philipp Rösler bis Daniel Bahr haben sich bislang alle Gesundheitsminister die Zähne an der kleinen Plastikkarte ausgebissen.

Von den Versicherten wird die Karte, die eigentlich eines Tages ganze Patientenakten speichern soll, auch nicht mehr ernst genommen. Als die Krankenkassen in den Jahren 2011 und 2012 Fotos ihrer Versicherten anforderten, um damit die Karten zu bestücken, reichten einige Scherzbolde Abbildungen von Darth Vader oder Mickey Mouse ein. In Einzelfällen landeten diese Fotos tatsächlich auf den Karten der Versicherten. Niemand hatte daran gedacht, dass die Lichtbilder auf ihre Echtheit geprüft werden müssen. Damit war auch die Hoffnung dahin, dass das Foto auf der Karte zumindest vor Missbrauch durch Dritte schützen könnte.

Verzögert wurde die Einführung der Karte auch, weil es lange Zweifel an der Daten-Sicherheit gab. Diese sind weitgehend ausgeräumt. Die Karte verfügt nach Angaben ihrer Entwickler-Gesellschaft Gematik über einen Mikroprozessor, der nur durch einen sechsstelligen Pin oder durch die Identifikation von Ärzten und Apothekern die Daten der Versicherten preisgibt. Derzeit befassen sich die Karten-Entwickler damit, wie eine elektronische Unterschrift installiert werden kann und wie sich Versicherten-Daten online aktualisieren lassen.

(qua)
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