Jörg Hofmann im Interview IG Metall will Integrationsjahr für Flüchtlinge

Düsseldorf · Der IG Metall-Chef fordert ein Hilfsprogramm, um die 600.000 Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Und er wünscht sich einen Tarifvertrag, der das Recht auf Handy-Abschaltung am Feierabend festschreibt.

 Jörg Hofmann möchte ein Integrationsjahr für Flüchtlinge.

Jörg Hofmann möchte ein Integrationsjahr für Flüchtlinge.

Foto: IG Metall

Deutschland geht es gut: Rekordbeschäftigung, Euro-Krise überstanden, Flüchtlingsstrom gestoppt — trotzdem schafft die AfD in Mecklenburg-Pommern mehr als 20 Prozent. Was ist da los?

Hofmann Viele Menschen sind trotz der guten Lage verunsichert. Sie haben Angst, dass sie Verlierer der Globalisierung werden, dass die Digitalisierung ihren Arbeitsplatz gefährdet. Und nicht alle sind auf der Sonnenseite, gerade in den neuen Bundesländern. Hinzu kommt das Gefühl, dass "die da oben in der Politik" machen, was sie wollen. Dieser gefährliche Mix erzeugt Protestwähler.

Bei Ergebnissen von 25 Prozent dürfte auch das eine oder andere IG-Metall-Mitglied rechtsextrem gewählt haben. Wie gehen Sie damit um?

Hofmann Wir müssen mit unseren Mitgliedern sprechen und argumentieren. Da genügt ein Blick in das Programm der AfD. Dort finden Sie keinen Punkt, von dem unsere Mitglieder profitieren würden.

Und trotzdem wird die AfD gewählt...

Hofmann Die Menschen müssen wieder das Gefühl bekommen, dass nicht Politik über ihre Köpfe hinweggemacht wird, sondern dass sie sich einbringen können. Und wer nicht mehr als wir, die Gewerkschaften, bieten die Gelegenheit, sich aktiv für seine Interessen einzumischen und durch solidarisches Handeln Erfolge zu erringen. Populisten hinterherzulaufen, macht keinen Arbeitsplatz sicherer, bringt keinen Euro mehr Entgelt oder Rente.

Die Kanzlerin bekommt beim Thema Flüchtlinge Druck von der CSU. 2017 stehen Wahlen an. Knickt sie mit ihrer "Wir schaffen das"-Politik ein?

Hofmann Diese Frage stellt sich doch gar nicht. Wir müssen das schaffen. Wenn Ende 2016 die Flüchtlinge in den Sozialstatistiken auftauchen und die Arbeitslosenquote steigt, ist ein guter Plan erforderlich, wie die Menschen in die Gesellschaft integriert werden. Das geht vorrangig über Arbeit.

Aber weder die Dax-Konzerne noch der Staat haben in nennenswertem Umfang Flüchtlinge eingestellt.

Hofmann Die Kanzlerin hat für Mitte des Monats die Dax-Vorstände zum Rapport geladen. Wir haben mit den Flüchtlingen mit anerkanntem Aufenthaltsstatus bis zu 600.000 potenzielle Arbeitskräfte, die es in den Arbeitsmarkt zu integrieren gilt. Es wäre fatal, das nicht zu nutzen. Aber sie müssen für den Job fit gemacht werden. Deshalb ist es gut, dass wir mit unserem Vorschlag für ein Integrationsjahr bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) und auch bei den Arbeitgebern auf offene Ohren gestoßen sind.

Was ist geplant?

Hofmann Flüchtlinge starten nach drei Monaten Integrationskurs mit einem dreimonatigen Praktikum in einem Betrieb, parallel zum weiteren Spracherwerb. Anschließend wechseln sie in dem Betrieb für ein halbes Jahr in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Während dieser Zeit findet eine erste berufsqualifizierende Ausbildung statt. Dieses Modell wird von der BA gefördert. Es entspricht den Förderkriterien, die wir heute schon etwa für Un- und Angelernte kennen. So können sich Flüchtling und Betrieb kennenlernen. Anschließend besteht natürlich die Aussicht zur Übernahme. Eine weitere berufsqualifizierende Ausbildung kann dann von der BA ebenfalls gefördert werden. Läuft es besonders gut und der Betroffene hat berufliche Vorkenntnisse, kann er auch bei der Kammer zur externen Prüfung angemeldet werden.

Sie sprechen mit der Arbeitgeberseite außerhalb der Tarifrunde schon über das Thema Flexibilisierung. Welche Regeln sind für Sie entscheidend?

Hofmann Viele Menschen arbeiten mit der mobilen Technik bereits extrem flexibel. Wenn Sie heute in die S-Bahn steigen, dann sehen Sie Beschäftigte, die während der Fahrt Akten studieren oder per Laptop arbeiten. Das ist Arbeitszeit, die klar als solche erfasst und vergütet werden muss. Nur so kann auch erkannt werden, wie stark die Ausweitung von Arbeitszeiten im Büro wie in der Produktion heute belastend wirkt und ständig zunimmt.

Welche weiteren Regeln fordern Ihre Mitglieder?

Hofmann Ihnen ist wichtig, dass Arbeitszeitmodelle, wie das Arbeiten von unterwegs, freiwillig erfolgen und allen Mitarbeitern angeboten werden. Es darf nicht sein, dass der Chef so etwas als Zückerchen für einige wenige nutzt. Und nur, weil einer auch von zu Hause aus arbeitet, darf seine Arbeitsstätte im Betrieb nicht wegfallen. Auch muss es ein Recht geben, Handy und Laptop nach Arbeitsschluss abzuschalten. Das gilt auch für Schichtarbeit, wo Arbeit am Wochenende oft schon zur Regel geworden ist.

Wann mündet all dies in einen Tarifvertrag?

Hofmann Wir starten Anfang 2017 eine bundesweite Beschäftigtenbefragung zum Thema Arbeitszeit. Die Ergebnisse könnten dann schon in der Tarifrunde 2017/18 eine Rolle spielen.

Zur Stahlbranche: Bei Thyssenkrupp stehen Einsparungen und möglicherweise eine Konsolidierung an. Wie beurteilen Sie die Lage?

Hofmann Herr Hiesinger hätte gut daran getan, nicht mit der vagen Ankündigung von Einsparungen in Milliardenhöhe die Mitarbeiter zu verunsichern. Das Management hat ganz offensichtlich keine ausgereifte Strategie. Dank der Intervention unserer Betriebsräte und der Belegschaften muss der Vorstand sich jetzt mal die Mühe machen, über die Begründung und Machbarkeit seiner eigenen Ankündigungen nachzudenken.

NRW favorisiert eine deutsche Stahllösung, also die Fusion von Thyssenkrupp mit Salzgitter. Einverstanden?

Hofmann Bislang wurde uns überhaupt kein Grund aufgezeigt, warum es eine Konsolidierung geben soll. Ich erwarte, dass Thyssenkrupp jetzt darlegt, woher dieses Restrukturierungsbedürfnis stammt. Man sollte sich nicht unnötig von Großaktionären treiben lassen, sondern lieber ehrlich analysieren, wo man den Markt nicht richtig bearbeitete, notwendige Innovation ausblieb oder falsch investiert wurde. Die Betriebsräte können Ihnen hier Bücher schreiben. Das macht mehr Sinn, als der Belegschaft zu drohen.

Ihre zweite Großbaustelle ist VW. Wie kommt die Aufarbeitung voran?

Hofmann Natürlich hätte ich mir Ergebnisse schon früher gewünscht. Diese Hängepartie tut keinem gut — schon gar nicht den Beschäftigten. Solange es keine Klarheit gibt, werden sich die Klagewellen fortsetzen — auch in Europa. Ich bin aber zuversichtlich, dass Ergebnisse in den nächsten Wochen sowohl bei dem Verfahren in den USA als auch bei den eigenen, durch den Aufsichtsrat angestoßenen Untersuchungen vorliegen.

VW will in Zukunft Elektroautos in China bauen. Lieber spät als nie?

Hofmann Das VW-Ziel von 25 Prozent Elektromobilität ist extrem ambitioniert, aber der Konzern wird das am Ende schaffen. Und China ist ein Markt, wo Elektromobilität in den Großstädten einen schnellen Durchbruch haben wird. VW hat hier einen großen Vorteil: Elektrische Antriebsstränge im weltweiten Konzernverbund zu entwickeln und damit schnell Skaleneffekte zu erreichen. Bislang kommen viele Hybridantriebe und reine Elektroantriebe, wie etwa Tesla, aus dem oberen Preissegment. Wenn die Fahrzeuge aber erst mal für eine breitere Käuferschicht erschwinglich werden, wird das ein Massenphänomen.

(RP)
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