Japan Das Land der untergehenden Sonne

Tokio · Japan - das stand einst für Dynamik, Hightech, aggressive Exportstrategien und Übernahme ganzer Wirtschaftszweige. So stark schien Nippon die Wirtschaftsgroßmacht USA zu bedrängen, dass der amerikanische Soziologe Ezra Vogel den fernöstlichen Staat schon als Nummer eins der Welt sah. Heute ist Japan der kranke Mann im Pazifik. Die Staatsverschuldung hat 226 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht und ist damit die höchste aller Industrieländer - vor notorischen Schuldenmachern wie Griechenland oder Italien. Das Land ist überaltert, seit über 20 Jahren kommt die Wirtschaft kaum voran. Das nominale Bruttoinlandsprodukt ist seit 2000 um fünf Prozent gefallen, während es in allen anderen Industrieländern kräftig gewachsen ist, trotz der Weltwirtschaftskrise von 2008.

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Foto: Shutterstock.com/ John Bill

In ihrer jüngsten Länderstudie hat die Industrieländerorganisation OECD den Japanern ein miserables Zeugnis ausgestellt. "Zwei Jahrzehnte Deflation haben den japanischen Lebensstandard unter den Durchschnitt der OECD-Länder gedrückt", schreiben die Ökonomen der in Paris ansässigen Organisation, der die 34 am höchsten entwickelten Länder der Erde angehören.

Dringend fordern die Wirtschaftsexperten der OECD das Land auf, endlich die verkrusteten Strukturen einer der mittlerweile unbeweglichsten Gesellschaften der Welt aufzubrechen. So ist der Arbeitsmarkt Japans, einst das Erfolgsgeheimnis des Landes, zu einem der konservativsten weltweit geworden. Obwohl die Menschen kaum irgendwo anders so alt werden wie in Japan, schicken die meisten Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter bereits mit 60 in den Ruhestand. Dass inzwischen manche länger in Rente als in Arbeit leben, ist in Japan gar nicht so selten.

Noch gefährlicher für die Zukunft des Landes ist die rückwärtsgewandte Familienpolitik. Nur jede dritte Frau nimmt nach einer Geburt ihres Kindes später wieder ihre Arbeit auf. Gerade einmal ein Drittel der britischen oder schwedischen Pro-Kopf-Ausgaben leistet sich die japanische Gesellschaft für Kitas oder Ganztagesbetreuung. Kein Wunder, dass sowohl der Unterschied in der Entlohnung wie auch der bei der Beteiligung von Männern und Frauen am Erwerbsleben in keinem entwickelten Land so hoch ist wie in Japan. Hier wie bei der Frage einer höheren Zuwanderung von Fachkräften mahnen die OECD-Ökonomen dringend Änderungen an, damit der Inselstaat den Anschluss an die Globalisierung nicht verliert und den Unternehmen die qualifizierten Beschäftigten nicht ausgehen.

Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe, ein glühender Nationalist, verfolgt andere Ziele. Mit einer extrem lockeren Geldpolitik - vergleichbar der in den Vereinigten Staaten und jetzt in Europa - will er schon seit zwei Jahren die Wirtschaft ankurbeln und die gefährliche Deflation, in der Preise und Einkommen sinken, überwinden. Einen engen politischen Freund, den Ökonomen Haruhiko Kuroda, hat er dazu als Chef der japanischen Notenbank installiert. Der Plan funktioniert so: Der Notenbanker sollte in gigantischem Ausmaß Staatsschuldtitel aufkaufen, mit denen Abe ein Konjunkturprogramm nach dem anderen finanziert hat. Sogar einen Namen gaben die Japaner dieser Politik: Abenomics, die Abe-Ökonomie. Die Erfolge sind bescheiden. Die Wirtschaft kam nur in den ersten Monaten voran. 2014 stagnierte sie wieder. In diesem Jahr soll sie wenigstens leicht wachsen. Von den geplanten zwei Prozent sind solche Zahlen weit entfernt.

Es war ein zutiefst verunsichertes Land, das Kanzlerin Angela Merkel zuletzt besuchte. Die Atomkatastrophe von Fukushima wirkt noch immer nach. Von Aufbruch und Dynamik ist wenig zu spüren. Die Gastgeber konnten für Merkel kaum innovative Unternehmen auftreiben, die für einen Neustart der Wirtschaft stehen. Stattdessen durfte sie einem Roboter die Hand schütteln, dessen Kollegen in Japan schon in der Altenpflege eingesetzt werden. Dass Nippon 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung steckt, mehr als die meisten Industrieländer, macht sich kaum bemerkbar.

Es scheint, dass der gigantische Wachstumsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg die Kräfte der Nation aufgezehrt hat. In einer gleichförmigen Gesellschaft finden sich jetzt nur wenige, die genug Unternehmertum und Risikobereitschaft aufbringen, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Seit aus dem einst legendären Industrieministerium Miti keine Vorgaben mehr kommen, versinken die Japaner in Apathie.

Stattdessen hat Abe den Nationalismus und das Militär entdeckt. Er will sein Land wieder stark machen, wo es wirtschaftlich zurückfällt. Alle Hinweise auf japanische Kriegsverbrechen hat er aus den Schulbüchern entfernen lassen. Die Aussöhnung mit den einstigen Gegnern Korea und China liegt auf Eis. Nur eines muss Japan wissen: Die Nachbarn ziehen am Land der untergehenden Sonne ökonomisch vorbei.

(RP)
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