Brüssel IWF-Chefin entscheidet über das Schicksal Athens

Brüssel · Was tun, wenn Athen die fälligen 1,6 Milliarden Euro heute nicht zahlt? Christine Lagarde ist am Zug.

Athen: Tausende demonstrieren für Europa
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30 Juni: Tausende demonstrieren in Athen für Europa

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Christine Lagarde hat bislang noch jede Hürde gemeistert: Als erster Europäer hat sie es an die Spitze einer der weltgrößten Anwaltskanzleien (Baker&McKenzie) gebracht, als französische Finanzministerin hat sie ihr Land 2008 gut durch die Finanzkrise gesteuert, das US-Magazin "Forbes" zählt sie zu den zehn mächtigsten Frauen der Welt. Heute steht ihr eine größere Nagelprobe bevor: Bis null Uhr Washingtoner Zeit (sechs Uhr deutscher Zeit) muss die griechische Regierung 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) überwiesen haben. Was wird Lagarde tun, wenn Athen wie von Finanzminister Giannis Varoufakis angekündigt, nicht überweist? Das Land in die Pleite schicken?

Die Regeln sehen dies vor: Lagarde muss das Führungskomitee des IWF unterrichten, das dann den "Zahlungsrückstand" offiziell feststellt. Allerdings kann sie sich hierzu auch vier Wochen Zeit lassen. So könnte Lagarde mit ihrer Entscheidung etwa bis zum Referendum warten, falls es überhaupt noch stattfindet.

Griechenland wäre nicht das erste Land, das einen Zahltag verstreichen lassen würde. Als säumige Zahler waren schon Somalia, Sudan, Sambia und Peru aufgefallen. Die Bündelung von Zahlungen, wie Lagarde sie den Griechen bereits gewährt hat, folgte etwa dem Vorgehen bei dem afrikanischen Land und heißt im IWF "Sambia-Option". Aber Hellas wäre das erste Industrieland, das den Regelbruch wagt.

Wenn der IWF den Zahlungsrückstand feststellt, darf er keine neuen Kredite an Athen vergeben. Doch ein "Zahlungsrückstand" ist noch kein "Zahlungsausfall". Und so ist offen, wie die Rating-Agenturen reagieren würden. Stellen sie ihrerseits den "Zahlungsausfall" fest und senken die Ratingnote auf "D" (englisch für default)? Oder warten sie, dass eine andere Institution "Ausfall" ruft? Dann erst wäre Griechenland offiziell pleite.

In diese Zwickmühle geraten auch der Rettungsfonds ESM und die Europäische Zentralbank. Darf die EZB weiter Notkredite an Athen vergeben, obwohl der IWF den Zahlungsrückstand festgestellt hat? Und was passiert am 20. Juli, wenn Athen 3,5 Milliarden an die EZB zahlen muss? Geld, das der Staat erst recht nicht hat. Und wird der Rettungsfonds seine Kredite fällig stellen? Bisher wollen weder Lagarde noch EZB-Chef Mario Draghi der Drachentöter sein.

Nicht, dass die Französin dafür nicht die nötige Härte hätte. Mit ihrer Mischung aus Hartnäckigkeit und Charme hat sie 2011 schon eine innenpolitische Affäre überstanden (Sie wurde verdächtigt, als Ministerin eine Millionen-Entschädigung an den früheren Adidas-Eigentümer Bernard Tapie ermöglicht zu haben.) Doch die 59-Jährige war nie die ökonomische Hardlinerin, als die Varoufakis sie bezeichnet. Sie hat sich stets um Stabilitäts- und Wachstumsmaßnahmen für Hellas bemüht. Zugleich betont Lagarde, dass die Politik die Schulden-Krise verursacht hat. Diese muss sie folglich auch beenden. Irgendwie.

(RP)
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