Interview mit Verdi-Chef Frank Bsirske "Wir machen bei Amazon Druck - wenn nötig über Jahre"

Düsseldorf · Gewerkschafts-Chef Frank Bsirske spricht im Interview über den Tarifstreit beim Online-Riesen Amazon, den Kampf um Tengelmann und die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD).

Frank Bsirske: Stationen eines Berufsfunktionärs
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Die AfD hat in Mecklenburg-Vorpommern 21,6 Prozent geholt. Eine gefährliche Entwicklung?

Bsirske Das muss man sehr ernst nehmen. Das rechtsextreme Milieu hat jetzt in einer Partei, die man nur als Klimavergifter bezeichnen kann, eine Heimat gefunden. Wir erleben zugleich einen Rechtsruck sozial benachteiligter Menschen, die Angst davor haben, dass die Flüchtlingsproblematik zu ihren Lasten ausgetragen wird.

Es wirkt so, als habe keine der gesellschaftlichen Gruppen — auch die Gewerkschaften nicht — eine Idee, wie man mit der AfD umgehen soll.

Bsirske Die AfD eröffnet einen Kulturkampf. Parteichef Meuthen hat unter seinesgleichen tosenden Beifall bekommen als er "das links-rot-grün-verseuchte 68er-Deutschland" zum Feindbild der AfD erklärte. Wollen wir wirklich in die Enge der 50er Jahre zurück? Nein, wir schätzen heute Vielfalt, Toleranz, Respekt für die Würde des anderen. Wir sollten deutlich sichtbar machen, wofür die AfD steht: Zum Beispiel, dass Frauke Petry sich für die Rente erst ab 70 ausspricht und obendrein prüfen will, das Rentenniveau noch weiter abzusenken als bisher schon vorgegeben. Das ist vom Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch weiter entfernt als die FDP. Das ist antisozial, eine klar arbeitnehmerfeindliche Politik. Und das gilt es in die Gesellschaft zu vermitteln.

Was sind dann Ihre Antworten?

Bsirske All die Themen, die die Menschen umtreiben — bezahlbarer Wohnraum, gute Schulen, Schutz vor Lohndumping und vor Altersarmut — gäbe es auch ohne die Flüchtlinge. Die AfD schiebt das aber den Schutzsuchenden in die Schuhe. Brandgefährlich! Die politischen Entscheidungsträger sollten zügig die Ärmel hochkrempeln. Ankündigungen müssen Taten folgen. Klotzen ist angesagt!

Geben Sie mal ein Beispiel für eine konkrete Maßnahme.

Bsirske Geklotzt werden muss zum Beispiel beim sozialen Wohnungsbau. Der Bund hat die Mittel auf eine Milliarde Euro verdoppelt. Das reicht aber nicht aus. Zwar kommen so 18.000 Wohnungen im Jahr hinzu, aber viermal so viele verschwinden jedes Jahr vom Markt. Bis 2020 fallen 50 Prozent des Sozialwohnungsbestandes aus der Sozialbindung heraus. Das muss gestoppt werden. Schnell und massiv.

War Merkels Satz "Wir schaffen das" ein Fehler?

Bsirske Nein. Das war eine Beschreibung unserer Möglichkeiten. Jetzt muss konkretisiert werden, wie wir das schaffen und insbesondere den Kommunen müssen die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Weder Unternehmen noch der Staat haben in nennenswertem Umfang Flüchtlinge eingestellt.

Bsirske Wir sind da erst am Anfang. Wir Sozialpartner schließen derzeit reihenweise entsprechende Vereinbarungen — etwa für Praktikumsplätze, um niedrigschwellige Zugänge zum Arbeitsmarkt zu schaffen. Und um ein AfD-Argument gleich vorweg zu entkräften: Die Programme stehen neben Flüchtlingen auch allen anderen Bürgern offen. Es gibt keine Privilegien für Flüchtlinge.

Die Koalition streitet derzeit über die Angleichung der Rente zwischen Ost und West. Kippt die Reform?

Bsirske Das würde für Angela Merkel einen Gesichtsverlust bedeuten. Schwer vorstellbar, dass sie es soweit kommen lässt.

Die Reform bedeutet Einschnitte für die heutigen Arbeitnehmer in Ostdeutschland. Ein weiteres Zeichen für den Abschied vom Generationenvertrag?

Bsirske Wir können uns die Angleichung zum jetzigen Zeitpunkt leisten. Aber sie muss dann nicht nur bei den Beziehern, sondern auch bei den Beitragszahlern erfolgen. Das ist nur konsequent.

Die Union sträubt sich dagegen, das Projekt mit Steuermitteln zu zahlen.

Bsirske Völlig unverständlich. Das ist doch ein gutes Beispiel für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und die finanziert man eben mit Steuern und nicht mit Beiträgen. Das gilt genauso für die die Absicherung von Menschen, die zwar Zeit ihres Lebens gearbeitet, aber zu wenig verdient haben. Wer heute 2500 Euro brutto verdient und 40 Jahre einzahlt, der schafft eine Netto-Rente vor Steuern von 805,02 Euro. Das betrifft Millionen Arbeitnehmer. Wenn wir nicht massenhaft Altersarmut haben wollen, dann sollte die Politik diese soziale Zeitbombe entschärfen, anstatt Steuergeschenke für Besserverdienende zu erwägen.

Kommen wir zu Ihren Branchen: Derzeit tobt eine Schlacht um die Übernahme von Kaiser's durch die Edeka-Gruppe. Hat sich Gabriel mit der inzwischen gerichtlich gekippten Ministererlaubnis übernommen?

Bsirske Die Ministererlaubnis war richtig. Gabriel hat erkannt, dass ohne sie Tausende Arbeitsplätze weggefallen wären. Er hat zudem den Erhalt der Mitbestimmungsstrukturen und der Tarifbindung zur Bedingung gemacht. Das unterstützen wir als Verdi.

Allerdings wirft Rewe-Chef Caperos dem Minister vor, dass er nicht im Verfahren gehört wurde.

Bsirske Das Problem war nicht eine fehlende Anhörung im Ministerium sondern die fehlende Bereitschaft des Tengelmann-Besitzers Haub mit Rewe auch nur zu reden. Der hatte sich von vornherein auf Edeka festgelegt.

Entstünde mit einer Übernahme durch Edeka nicht ein zu mächtiger Handelsriese, der — auch von Ihren Mitgliedern — höhere Preise an der Supermarktkasse verlangt?


Bsirske Tengelmann hat einen Marktanteil von 0,6 Prozent am deutschen Einzelhandel. Das macht den Kohl nicht fett.

Haub hat damit gedroht, dass er die defizitären Geschäfte nicht unendlich lange weiterführen könne. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Kaiser's-Beschäftigten am Ende auf der Straße stehen?

Bsirske Das ist ein Damokles-Schwert, das über dem Verfahren und den Beschäftigten schwebt. Wir hoffen, dass es nicht niedergeht.

Eine weitere Baustelle ist die Dauerfehde mit Amazon. Das Management zeigt sich von Ihren Aktionen unbeeindruckt. Welche Möglichkeiten haben Sie noch im Köcher?

Bsirske Weiter Druck machen. Wenn nötig auch über mehrere Jahre. Das Management in den USA muss verstehen, dass wir da nicht locker lassen. Wir machen weiter, bis wir bei Amazon einen Tarifvertrag zu den Bedingungen des Handels durchgesetzt haben.

Sie mobilisieren gerade gegen Ceta, das Freihandelsabkommen mit Kanada. Was stört Sie mehr, das Abkommen selbst oder die Art, wie dieses zustande kommen sollten?


Bsirske Dass die EU-Kommission auf Geheimdiplomatie gesetzt hat, war und ist nicht akzeptabel. Uns stört aber auch der jetzige Verhandlungsstand: Da wären einerseits die Schiedsgerichte. Kanadische Konzerne könnten diese anrufen und dort höhere Entschädigungen durchsetzen, als sie von einem normalen Gericht zugestanden bekämen. Der Grund: Vor diesen Sondergerichten würden auch entgangene künftige Gewinnerwartungen einberechnet — das wäre vor einem deutschen Gericht unmöglich. Wieso sollten für kanadische Firmen bessere Regeln gelten als für unsere hiesigen? Wir sprechen hier schließlich von Rechtsstaaten und nicht von Nordkorea.

Was stört Sie noch?


Bsirske Die Unabhängigkeit der Gerichte ist nicht gewährleistet, so das Urteil des Deutschen Richterbundes. Zum Beispiel sollen die Richter 2000 Euro monatliches Grundgehalt bekommen und pro Prozesstag 3000 US-Dollar. Ob eine Klage zugelassen wird, liegt im Ermessen der Richter, deren Einkommen wiederum davon abhängt, dass der Fall verhandelt wird.

Sie rufen zu einer Großkundgebung kurz vor dem SPD-Parteikonvent zu Ceta und TTIP auf. Nehmen Sie nicht billigend in Kauf, dass SPD-Chef und Ceta-Befürworter Gabriel am Ende über Ihren Widerstand stürzt?

Bsirske Das ist eine unzulässige Form der Personalisierung. Wir müssen uns in der Sache auseinandersetzen. Es geht darum, dass CETA in der vorliegenden Fassung nicht zustimmungsfähig ist und um notwendige Nachverhandlungen. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.

Max Plück führte das Gespräch.

(maxi)
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