Interview

Siemens hat derzeit viele Baustellen: Der Anschluss der Windparks verzögert sich, bei neuen ICE gibt es Probleme. Was ist los in Ihrem Konzern?

Siemens hat derzeit viele Baustellen: Der Anschluss der Windparks verzögert sich, bei neuen ICE gibt es Probleme. Was ist los in Ihrem Konzern?

Kaeser Die meisten Dinge laufen hervorragend. Die Hannovermesse hat bestätigt, dass man an Siemens nicht vorbeikommt. In der Energietechnik sind wir bei Gasturbinen und Windenergie führend. Die Gesundheitstechnik ist in wichtigen Bereichen auf einem Niveau, das die Wettbewerber gerne hätten. Natürlich gelingt auch uns nicht immer alles. So haben wir bei der Anbindung von Windparks auf hoher See Anlaufschwierigkeiten, und auch bei der Bahntechnik läuft nicht alles so, wie wir uns das vorstellen. Zum Teil sind wir etwas überhastet in neue Marktanwendungen eingestiegen. Das kostet jetzt Geld – auch erneut im 2. Quartal des Geschäftsjahres.

War es ein Fehler, dass Siemens ein ambitioniertes mittelfristiges Umsatzziel – 100 Milliarden Euro pro Jahr – ausgegeben hat?

Kaeser Wir haben nach sehr erfolgreichen Jahren von 2008 bis Mitte 2011 eine stärkere Wachstumsorientierung gesucht. Dabei haben wir immerhin über 34 000 Arbeitsplätze weltweit neu geschaffen. Die erwarteten Wirkungen aus der Wachstumspolitik sind aber nicht eingetreten. Wir haben reagiert. Mit dem Effizienzprogramm "Siemens 2014" konzentrieren wir uns darauf, was wir selbst in der Hand haben: Produktivität und Innovation!

Wie wirken sich die Probleme in Ihren nächsten Quartalszahlen aus?

Kaeser Die Herausforderungen bei der Bahntechnik und der Windanbindung werden ihre Spuren in den Zahlen für das zweite Quartal hinterlassen, die wir am 2. Mai vorstellen. Das zweite Quartal ist auch deshalb ertragsschwach, weil die Nachfrage im kurzzyklischen Industriegeschäft in den USA und Deutschland abebbt und nicht durch eine erhoffte Erholung in China ausgeglichen werden kann. Der beabsichtigte Verkauf unseres Solargeschäftes ist angesichts des problematischen Marktumfeldes nicht einfach und muss hinsichtlich seiner bilanziellen Behandlung überprüft werden. Es gibt aber auch erfreuliche Entwicklungen: So gehe ich davon aus, dass im zweiten Quartal dank mehrerer Großaufträge unser Bestelleingang deutlich über dem Vorjahres- und auch über dem letzten Quartal liegen wird.

Wie wird der Jahresgewinn?

Kaeser Dazu äußern wir uns bei der Vorlage unserer Quartalszahlen. Aber aus heutiger Sicht gehe ich trotz der Belastungen im ersten Halbjahr weiterhin davon aus, dass der Gewinn pro Aktie für den gesamten Konzern im Jahr 2013 mindestens die Höhe des Vorjahres erreichen wird. In der operativen Betrachtung wird es jedoch enger.

Manche Konkurrenten sind erfolgreicher. Die Umsatzrendite von General Electric beträgt zehn Prozent, die von Siemens nur sechs Prozent ...

Kaeser Tatsächlich haben wir etwas Nachholbedarf, wenn wir weiter zu den ertragsstärksten Unternehmen der Branche aufschließen wollen. Das wollen wir nachhaltig tun.

Allein im Industriegeschäft wollen Sie über 3000 Arbeitsplätze streichen.

Kaeser Unter dem Strich wird Siemens in 2013 weltweit die Zahl seiner Mitarbeiter auf vergleichbarer Basis wohl halten bzw. sogar leicht ausbauen. Dennoch werden wir in manchen Bereichen und Regionen Stellen abbauen, in und auf anderen Gebieten aber neue Stellen schaffen. Das gilt in Teilen auch für NRW.

Hier wollen Sie 500 Stellen streichen.

Kaeser In der Umrichter-Fertigung in Krefeld werden voraussichtlich Stellen wegfallen. Doch an anderen Standorten wie dem Duisburger Hafen oder in Goch schaffen wir neue Stellen. Unter dem Strich wird es bei knapp 20 000 Arbeitsplätzen in NRW bleiben. Das sind übrigens über 1000 Stellen mehr als noch in 2010.

Siemens hat den Arbeitnehmern zugesagt, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Ist diese unbefristete Zusage zu halten?

Kaeser Das ist unser Anspruch; und das gehört zu nachhaltigem Wirtschaften. Gutes Management zeichnet sich nicht dadurch aus, dass es viele Stellen streicht, sondern dass es neue Geschäfte entwickelt.

Wie bewerten Sie die Energiewende?

Kaeser Ich unterstütze den Ausstieg aus der Kernenergie und eine ökologische Neuausrichtung der Energiewirtschaft. Dabei geht es mir weniger um die "Restrisiken" des Betriebs eines AKWs, sondern darum, dass eine Gesellschaft es ihren Nachfolgegenerationen nicht zumuten soll, ihr ungeklärte Endlagerungsrisiken zu hinterlassen. Das sage ich, obwohl auch Siemens viele Jahre lang Kernkraftwerke selbst gebaut hat. Die Art und Weise der Umsetzung der Energiewende wird aber dem Anspruch einer führenden Wirtschaftsnation nicht gerecht.

Was stört Sie?

Kaeser Vieles! Zum Beispiel, wie man mit Steuergeldern und der Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie umgeht. 2012 wurden für subventionierte Stromlieferungen in Deutschland zirka 22,6 Milliarden Euro ausgezahlt. Doch der Marktpreis dieses Stroms lag bei drei Milliarden Euro – womit 20 Milliarden Euro an Subvention fällig werden und das für 20 Jahre. Die Gesellschaft wird so mindestens 400 Milliarden Euro verpulvern, die wir besser für Ausbildung und Innovation ausgeben sollten.

Was sollte sich grundsätzlich bei der Energiewende ändern?

Kaeser Erstens wäre es besser, Forschung und Entwicklung und damit Innovation zu fördern als nur den Absatz von Öko-Strom. Derzeit haben wir den Effekt, dass Unternehmen aus China mit wenig innovativer Technik massenhaft Solaranlagen für Deutschland liefern, statt hiesige Innovationen zu fördern. Zweitens sollte man Förderaspekte auch bei bestehenden Anlagen darauf konzentrieren, dass Haushalte Öko-Strom selber nutzen, statt ihn ins Netz einzuspeisen. Das würde die Netzinfrastruktur erheblich entlasten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Konsolidierung der gewaltigen Kostenlawine liefern.

Und drittens?

Kaeser Das Wichtigste ist, dass wir ein Gesamtkonzept für die Energiepolitik brauchen: Dabei muss das Einsparen von Energie eine viel größere Rolle bekommen. Die zunehmend steigenden Strompreise gefährden dagegen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Schon jetzt sind die Energiepreise in Deutschland zum Teil viermal so hoch wie in den USA. Und dank neuer Vorkommen und Fördertechniken für Gas könnten sie in Amerika sogar noch weiter sinken.

Werden große Unternehmen Deutschland verlassen?

Kaeser Nein, das glaube ich nicht. Dafür sind die Verbundkonzepte, zum Beispiel in der Chemischen Industrie, zu stark etabliert. Aber es dürfte eher keine neuen Standorte von Industrien, die viel Strom brauchen, mehr geben.

ANTJE HÖNING, REINHARD KOWALEWSKY, HORST THOREN UND GEORG. WINTERS FÜHRTEN DAS GESPRÄCH. INTERNET: EINE LANGFASSUNG UNTER WWW.RP-ONLINE.DE

(RP)
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