Düsseldorf Spitzenkräfte dürfen Schwäche zeigen

Düsseldorf · Der Schwächeanfall von BMW-Chef Harald Krüger hat eine Diskussion darüber ausgelöst, wie anfällig Manager sein dürfen. Offene Gesellschaften erwarten von ihrem Führungspersonal keine Unfehlbarkeit - anders als Diktaturen.

Die Flut der Reaktionen war überwältigend. Warme Worte des Beileids, aufmunternde Kommentare, tiefe Einsichten in menschliche Not. Das Netz zeigte sich von seiner emotionalsten, vielleicht sogar ehrlichsten Seite, als Facebook-Chefin Sheryl Sandberg (46) den Tod ihres Mannes - natürlich per Facebook - beweinte und zugleich bekanntgab, sich für eine beträchtliche Zeit der Trauer zurückzuziehen.

Die Top-Managerin und laut Forbes achtmächtigste Frau der Welt gab sich überraschend verletzlich. Sie beschrieb, wie sie sich abends in den Schlaf weinte, während ihre Mutter sie in den Armen hielt. Sie machte ihre große Trauer über den tödlichen Unfall ihres Mannes öffentlich und verstieß damit gegen den klassischen Manager-Kodex, wonach aus Chefetagen nur gute private Nachrichten und sonst vor allem Erfolgsmeldungen kommen.

Offen war auch die Erklärung der BMW-Pressechefs, nachdem der neue Vorstandsvorsitzende Harald Krüger ausgerechnet beim Branchen-Top-Event, der Internationalen Auto-Ausstellung (IAA) in Frankfurt, einen Schwächeanfall erlitt. "Ich glaube, da ist vieles zusammengekommen", meinte BMW-Chefkommunikator Maximilian Schöberl. Der Stress der jüngsten Reisen, die Aufregung vor dem ersten großen öffentlichen Auftritt, körperliche Übelkeit und anderes mehr.

Der Auto-Manager und seine Entourage geben die Schwäche öffentlich zu. Auch das ist ungewöhnlich in Sphären, wo gewöhnlich Effizienz, Härte, Kaltblütigkeit und Coolness die Haupttugenden der Mächtigen sind.

Schließlich der Unfall von Bill McDermott. Der Chef des deutschen Software-Konzerns SAP stürzte nach einer Feier so unglücklich auf der Treppe seines väterlichen Hauses in ein Glas, dass er sein Augenlicht verlor. "Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin", bekannte der Manager, der zwischen den USA und Deutschland hin und her pendelt. Er wolle seinen schweren Unfall bewusst kommunizieren, ergänzte er. Immerhin fragte man sich schon bange in der Konzernzentrale in Walldorf, warum der im Sommer verunglückte Top-Manager bislang nicht aus den USA zurückkehrte.

Darf man sich in Top-Positionen solche Schwächen erlauben? Man darf, um es gleich vorwegzunehmen. Man darf aber auch die Frage stellen. Nur einer von 116. 000 Mitarbeitern schafft es, in einem Weltkonzern wie BMW der Erste zu sein. Nur eine von 82 Millionen Bürgern, die Stelle einer Kanzlerin zu besetzen. Mag es sich, um ein bekanntes Diktum abzuwandeln, auch um einen "leitenden Angestellten" handeln: Wer ganz oben steht, muss belastbar sein, über eine eiserne Disziplin verfügen, Stress und Hektik mit stoischer Ruhe überstehen. Sonst ist sie oder er ungeeignet für den Posten.

Doch trotz der herausgehobenen Position, die viele Verpflichtungen mit sich bringt, darf gerade auch der erste Mann oder die erste Frau einer Organisation Schwäche zeigen. Das unterscheidet den Ersten unter Gleichen von einem Alleinherrscher. Ein Wladimir Putin oder ein Xi Jingping, der Staatspräsident Chinas, erst recht die großen Diktatoren, sind unfehlbar per Definition. Wenn sie Schwäche zeigen, ist ihre Macht in Gefahr. In demokratischen Gesellschaften gehören Schwächen und Verletztsein zum Menschenbild.

Deshalb übernimmt ein Matthias Platzeck, der sein Amt als SPD-Chef aus mangelnder Stress-Resistenz aufgegeben hatte, weiter wichtige politische Missionen wie etwa die Schlichtung beim Lokführerstreik. Kanzlerin Angela Merkel schonte bewusst ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble, als der Rollstuhlfahrer durch eine Infektion ernsthaft außer Gefecht gesetzt wurde und bei einem wichtigen EU-Ministerratstreffen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Kanzlerin telefonierte mit seiner Frau, um deutlich zu machen, dass sie ihm wirklich alle Zeit der Welt geben würde, sich von diesem Zusammenbruch zu erholen.

Sandberg, Krüger, Platzeck, Merkel sind Botschafter einer demokratischen Führungs-Kultur. Es ist wichtig, Führung und Härte zu zeigen. Aber Schwächen dürfen auch sein. SAP-Chef McDermott sagt nicht zu Unrecht: "Jedem kann so etwas passieren. Wichtig ist, wieder aufzustehen, wenn man hingefallen ist."Das Verstecken von Unglücksfällen, Krankheiten oder einfach nur Ungeschicklichkeiten passt nicht zu einer egalitären Gesellschaft. Fehler sind dagegen erlaubt. Es dürfen freilich nicht zu viele sein.

(kes)
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