Hans Peter Wollseifer im Interview "17.000 Lehrstellen sind nicht besetzt"

Berlin · Der Handwerkspräsident bietet der Bundesregierung an, 20.000 Flüchtlinge für eine Ausbildung fitzumachen. Dafür müsse die Regierung aber die entsprechenden Voraussetzungen beispielsweise durch Bildungskurse schaffen, mahnt er.

 Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer (Archivbild) bietet der Bundesregierung an, 20.000 Flüchtlinge für eine Ausbildung fitzumachen.

Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer (Archivbild) bietet der Bundesregierung an, 20.000 Flüchtlinge für eine Ausbildung fitzumachen.

Foto: dpa

Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer beklagt erneut eine Vielzahl unbesetzter Ausbildungsstellen. Im Interview setzt er sich für einen "ausbildungsfreundlichen" Umgang mit Flüchtlingen ein, die bereits eine Lehre begonnen haben.

Welche Erfahrungen macht das Handwerk bei der Beschäftigung von Flüchtlingen?

Wollseifer Wir haben gute Erfahrungen mit einigen hundert Irakern, Syrern, Afghanen, Afrikanern und Südosteuropäern gemacht, die im Handwerk in den vergangenen Jahren eine Ausbildung begonnen haben. Sie hatten die Chance, sich während der langen Wartezeit auf Entscheidungen der Ausländerbehörden mit Sprachkursen auf eine Ausbildung vorzubereiten. Das ist mitentscheidend für den Ausbildungserfolg.

Wie sieht es aus mit Migranten, die in ihren Heimatländern schon als Handwerker tätig waren?

Wollseifer Seit dem Jahr 2012 kann man sich von den Handwerkskammern ausländische Berufsabschlüsse und Qualifikationen anerkennen lassen. Wir bieten auch Nachqualifizierungen an. Oft bringen Migranten viele praktische Erfahrungen mit, müssen aber theoretisches berufliches Wissen nachholen. Zielführend ist auch ein Praktikum im Betrieb, dann wissen wir, was sie können. Die Qualifikationen sind sehr unterschiedlich. Ich war selbst mit meinem Unternehmen in Kabul tätig. Dort haben wir gravierende Unterschiede zwischen der Qualifikation unserer und der dortigen Facharbeiter festgestellt. Es gibt dort zum Beispiel bestimmte Geräte einfach nicht, etwa Lasergeräte für Messungen am Bau. Es fehlen auch präzise Wasserwaagen, man nutzt nur Schnur und Lot. Da müssen wir natürlich nachqualifizieren.

Was muss die Bundesregierung tun, damit das Handwerk Flüchtlinge schneller integrieren kann?

Wollseifer Im Moment werden junge Flüchtlinge aus dem Irak, Afghanistan oder aus anderen Herkunftsländern, die eine Ausbildung begonnen haben, zunächst nur für ein Jahr geduldet. Damit ist für den Betrieb nicht klar, ob der Flüchtling seine dreijährige Ausbildung auch erfolgreich beenden kann. Wir fordern die Ausländerbehörden auf, diese Regelung ausbildungsfreundlich zu handhaben, so dass die Flüchtlinge nicht während einer einmal aufgenommenen Ausbildung abgeschoben werden. Die Ausbildung ist auch eine Investition des Betriebs. Erklärtes Ziel ist es, die Flüchtlinge nach der Ausbildung noch ein, zwei Jahre als Facharbeiter im Betrieb zu halten.

Viele junge Flüchtlinge sind nicht fit für eine Ausbildung. Wie kann die Regierung da helfen?

Wollseifer Wir haben noch betriebliche Ausbildungskapazitäten für junge Flüchtlinge im Handwerk. Doch ohne praktische und berufssprachliche Vorbereitung geht es meist nicht. Deshalb bieten wir der Bundesregierung an, für die jungen Flüchtlinge in den 550 Bildungsstätten des Handwerks entsprechende Kurse durchzuführen. Dort stehen jeweils bis zu 40 Plätze für diese Kurse zur Verfügung. Wir könnten dort also bis zu 20.000 junge Flüchtlinge für eine Ausbildung im Handwerk fitmachen. Die Kosten pro Monat und pro Flüchtling schätzen wir auf rund 1000 Euro. Darüber sprechen wir gerade mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundesbildungsministerium. Das ist eine gute Investition, weil die Migranten so schnell in den Arbeitsmarkt integriert würden und hoffentlich bald Steuern und Beiträge selbst zahlen können.

Haben Sie dieses Jahr alle Lehrstellen besetzen können?

Wollseifer Wir haben das erste Mal seit vielen Jahren mehr Ausbildungsverträge unterschreiben können als im Vorjahr. Der Abwärtstrend ist also gestoppt. Wir haben 2015 über 140.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen, 0,7 Prozent mehr als im Jahr davor. Andererseits blieben wieder gut 17.000 Ausbildungsplätze im Handwerk unbesetzt, weil wir nicht ausreichend junge Leute finden. Viele Betriebe bemühen sich daher bereits jetzt um Lehrlinge für 2016.

Um die Flüchtlinge unterzubringen, brauchen wir viel ehr günstigen Wohnraum. Der Bundesfinanzminister möchte den Wohnungsbau mit einer begrenzten Sonderabschreibung ankurbeln. Eine gute Idee?

Wollseifer Wir brauchen dringend und schnell mehr günstigen Wohnraum, nicht nur für die Flüchtlinge. Deshalb ist der Vorschlag des Finanzministers, den Wohnungsbau mit einer begrenzten Sonderabschreibung anzukurbeln, richtungsweisend. Kontraproduktiv ist dagegen das Vorhaben von Justizminister Maas, die Möglichkeit für Wohnungseigentümer zu verringern, Modernisierungsaufwendungen auf die Miete umzulegen. Das würde notwendige Investitionen bremsen. Das Handwerk steht für den schnellen Bau neuer Wohnungen zur Verfügung, da haben wir auch noch Kapazitäten.

Wie ist Ihre Prognose für die Branche 2016?

Wollseifer Das Handwerk schaut optimistisch in die Zukunft. Unsere Auftragsbücher sind voll. Die Konjunktur wird von der guten Entwicklung am Binnenmarkt getragen. Wir erwarten wieder zwei Prozent Wachstum im Handwerk. Die Zahl der Beschäftigten bleibt stabil. Gerne würden wir sie erhöhen, aber wir finden nicht genügend Fachkräfte und Auszubildende.

BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(mar)
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