Interview mit Reiner Hoffmann "Schluss mit der Mär vom faulen Griechen"

Düsseldorf · Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, spricht im Interview über sein Treffen mit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras, den Vorstoß von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu deutschen Steuerbeamten für Athen und die Tricks der Unternehmer beim Umgehen des gesetzlichen Mindestlohns.

 DGB-Chef Reiner Hoffmann glaubt nicht an die Mär vom faulen Griechen.

DGB-Chef Reiner Hoffmann glaubt nicht an die Mär vom faulen Griechen.

Foto: dpa, lus tba

Kurz bevor er sich für ein paar Tage in den Osterurlaub verabschiedet, ist der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, nach Griechenland gereist, um sich über die dortige Lage zu informieren. Dort traf er auch Premier Alexis Tsipras.

Sie kommen gerade aus Athen zurück. Haben Sie Wiedergutmachung für die Stinkefinger-Diskussion hierzulande betrieben?

Hoffmann Diese unsinnige Debatte interessiert mich gar nicht. Wir müssen in Deutschland endlich mit dem Populismus aufhören und verbal deutlich abrüsten. Es ist doch beeindruckend, dass die Griechen trotz des Sparkurses immer noch zu 70 Prozent zur EU und zur Währungsunion stehen. Das sollte man unterstützen, statt immer das falsche Bild vom faulen Griechen zu zeichnen.

Welchen Eindruck haben Sie von Ihrem Treffen mit Premier Tsipras?

Hoffmann Die griechische Regierung wird es nicht darauf ankommen lassen, dass die nächste Hilfstranche nicht bezahlt wird. Das hat der Premier mir eindeutig signalisiert. Ein Grexit — also der Austritt aus der Eurozone — ist für ihn keine Perspektive. Ein großes Problem ist jedoch, dass die Regierung zwar realistische Vorstellungen von Reformen hat, Tsipras Partei aber immer noch im Oppositionsmodus ist.

Wie angenehm sind Ihnen Gespräche mit einem Linkspolitiker, der ein Bündnis mit Rechtspopulisten eingegangen ist?

Hoffmann Die Rechtspopulisten haben ein Ressort — das Verteidigungsministerium. Einen Koalitionsvertrag gibt es nicht, damit hat Syriza weitgehend freie Hand, die Rechtspopulisten sind beherrschbar. Ob dieses Bündnis über den September hinaus fortgesetzt wird oder sich Tsipras weniger schwierige Partner sucht, wird man sehen.

Woher nehmen Sie den Optimismus, dass die Griechen die Reformvorgaben der EU erfüllen?

Hoffmann Die Regierung ist nach innen wesentlich verantwortungsbewusster, als hierzulande deutlich wird. Es gibt mehrere konkrete Projekte mit ordentlichen Perspektiven, aber die benötigen Zeit. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit etwa wird mit reinen Konjunkturprogrammen nicht aufgefangen werden können.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Hoffmann Ein Modell wäre eine Art zweiter Arbeitsmarkt, damit das Gros der griechischen Jugend wieder eine Perspektive bekommt, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt schlicht nicht hat. Finanzieren könnte man das mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds oder der Europäischen Investitionsbank.

Was für Projekte haben Sie Tsipras vorgeschlagen?

Hoffmann Es ging nicht um Vorschläge, sondern um den Austausch von Erfahrungen. Die Griechen haben Entwicklungsperspektiven etwa im Bereich der erneuerbaren Energien. Derzeit wird der Strom auf vielen Inseln noch mit alten Dieselkraftwerken erzeugt. Wieso kann man in einem Land mit vielen regenerativen Energien nicht eine ordentliche Versorgung mit dezentralen Solar- und Windkraftanlagen hinbekommen? Das wären Projekte, bei denen sich die Jugend einbringen könnte und die sich etwa genossenschaftlich organisieren lassen. Griechenland könnte insgesamt unabhängig werden von Ölimporten - und von russischen Gaslieferungen.

Wenn Sie so optimistisch sind, könnten Sie Ihren Mitgliedern guten Gewissens raten, griechische Staatsanleihen zu kaufen.

Hoffmann Ich sage nicht, dass es keine gravierenden Probleme gibt. Die Griechen arbeiten zwar sehr viel, aber die Produktivität ist schlecht, die maritime Wirtschaft ist kollabiert, es gibt keine funktionierende Arbeitsmarktpolitik. Ganz zu schweigen vom maroden Steuersystem.

Finanzminister Schäuble hat doch angeboten, 500 deutsche Finanzbeamte nach Athen zu schicken.

Hoffmann Minister Schäuble sollte sich solchen blanken Populismus sparen. Er hat ja nicht mal genügend Leute, um die Einhaltung des Mindestlohns hierzulande zu kontrollieren. Da kann er keine Beamten nach Athen schicken. Wir sollten lieber die gute Arbeit der Reichenbach-Task-Force fortsetzen. Die Erfahrungen dieser Task-Force, wie Geld sinnvoll und effektiv eingesetzt wird, sollten doch auf andere, nachhaltige Projekte übertragbar sein. Und die EU sollte Athen weiterhin unterstützen, damit dort eine eigene ordentliche Finanzverwaltung aufgebaut wird.

Sie haben den Mindestlohn selbst angesprochen. Der DGB fordert unter anderem ein Verbandsklagerecht. Werden Sie als Robin Hood des Mindestlohns von Gericht zu Gericht ziehen?

Hoffmann Es geht darum, dass Individuen oft aus Angst vor Repressalien nicht klagen wollen. Wenn die Gewerkschaft die Klage übernimmt, schützen wir die Leute und können so per Gerichtsweg Missbrauch abschalten. Ich gehe davon aus, dass die Politik das als sinnvoll erachtet. Das Verbandsklagerecht wird kommen.

Laut DGB suchen Arbeitgeber bereits reihenweise nach Umgehungsmöglichkeiten für den Mindestlohn.

Hoffmann Den nicht zu zahlen, scheint mittlerweile Volkssport. Und wir müssen uns immer klarmachen, dass wir von Menschen sprechen, die nicht einmal 1600 Euro brutto im Monat verdienen. Im Gastronomiebereich erleben wir etwa, dass Trinkgelder einbehalten und auf den Mindestlohn angerechnet werden. Gleiches geschieht mit individualrechtlich vereinbarten Zuschlägen. Zudem werden häufig Stunden nicht korrekt erfasst. Ich bin kein Freund scharfer Töne, aber was wir da zum Teil erleben, ist eine Sauerei.

Die Unternehmen warnen beim Thema Arbeitszeiterfassung vor zu viel Bürokratie.

Hoffmann Die Firmen leiden da unter einer gestörten Wahrnehmung. Das Gezeter ist völlig überzogen. Kein Arbeitgeber kann ernsthaft behaupten, eine korrekte Arbeitszeiterfassung sei ein Bürokratiemonster. Das sind vorgeschobene Gründe. Elektronische Zeiterfassung gibt es seit 25 Jahren. Die Arbeitgeber fürchten nur, dass die Regierung im nächsten Schritt den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit gesetzlich eindämmen wird. Mit dieser Befürchtung haben sie Recht. Die Regierung muss den Koalitionsvertrag erfüllen, Arbeitsministerin Nahles hat das Gesetz dazu für dieses Jahr zugesagt. Und wir wollen die gesellschaftliche Diskussion darüber, was uns allen Arbeit wert ist — etwa im Bereich der Pflege, wo dringend benötigte Arbeit kriminell schlecht bezahlt wird.

Maximilian Plück und Stefan Weigel führten das Interview.

(maxi)
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