Saarbrücken Google holt sich Hilfe im Saarland

Saarbrücken · Die Tech-Konzerne forschen an künstlicher Intelligenz. Das größte Forschungszentrum gibt es aber in Deutschland. Ein Besuch.

Saarbrücken: Google holt sich Hilfe im Saarland
Foto: DFKI

Wenn Kandidaten bei dem Fernsehquiz "Wer wird Millionär" nicht weiter wissen, rufen sie einen Telefonjoker an - einen Bekannten, Verwandten, irgendjemanden, dem sie die Beantwortung der Frage zutrauen, weil er besonders schlau zu sein scheint. Irgendwann wird es diesen nicht mehr brauchen. Dann gibt es Google. Wie besessen arbeiten die Programmierer im Silicon Valley daran, ihre Software immer besser zu machen, damit sie jedem Menschen genau die Antwort liefert, die er sucht. Dazu setzt Google vor allem auf Künstliche Intelligenz (KI), denkende und lernende Maschinen.

Google ist nicht allein. Auch der iPhone-Hersteller Apple oder das Soziale Netzwerk Facebook rüsten ihre Systeme zu persönlichen Assistenten auf, die nicht nur Fragen beantworten, sondern bei Bedarf auch ein Taxi rufen oder einen Tisch im Restaurant reservieren. Im Silicon Valley entstehen die Telefonjoker des Bits-und-Bytes-Zeitalters.

Was viele nicht wissen: Auch in Deutschland gibt es kleine Silicon Valleys, nur dass sie hier Saarbrücken oder Kaiserslautern, Bremen oder Berlin heißen. Seit 1988 gibt es dort das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), die weltgrößte Forschungseinrichtung in diesem Bereich. Unternehmen aus aller Welt wollen vom Wissen der knapp 480 Forscher profitieren. Zum Kreis der Gesellschafter gehört nicht nur Google, sondern auch Unternehmen wie Airbus, BMW, die Deutsche Telekom, VW, Microsoft oder der Chips-Hersteller Intel.

In Saarbrücken weiß man um die Ängste, die viele Menschen haben, wenn sie an Künstliche Intelligenz denken. Befürchtungen, die Maschinen könnten den Menschen irgendwann intellektuell übertrumpfen, hält man trotzdem für unbegründet. Es wäre albern, zu versuchen, mit Software oder Robotern den Menschen einfach kopieren zu wollen, erklärt Professor Wolfgang Wahlster, Vorsitzender der Geschäftsführung des DFKI. In der KI-Forschung gehe es darum, mit digitalen Methoden Fähigkeiten des Menschen zu erweitern oder zu steigern. Mit anderen Worten: KI soll uns da stark machen, wo wir schwach sind.

Das gilt für den digitalen Assistenten, der beim Umgang mit komplizierter Technik hilft, und die Übersetzungs-App. Das gilt für den Erste-Hilfe-Roboter, der nach einem Erdbeben in einsturzgefährdeten Ruinen Verschüttete sucht. Das gilt auch für das Computerprogramm der Krebsmedizin, das für einen Arzt binnen Sekunden die Ergebnisse tausender Studien nach einer zum Tumor seines Patienten passenden Wirkstoffkombination durchsuchen kann. Und das gilt fürs autonome Auto, das alten Menschen helfen soll, die selbst nicht mehr fahren können.

Nicht nur Google arbeitet an entsprechenden Fahrzeugen. Auch das DFKI entwickelte ein "Eo 2" (lateinisch: "Ich gehe") genanntes elektrisches Mikroauto. Daran untersuchen die Informatiker zum Beispiel, wie sich autonome Elektrofahrzeuge beim Abbiegen an nicht beschilderten Kreuzungen verhalten müssen, den Straßenrand erkennen oder selbstständig in die richtige Parklücke finden.

Und wenn dem E-Mobil unterwegs der Strom auszugehen droht? Die Forscher tüfteln an Konzepten, die bisher zu geringe Reichweite der Elektroautos zu steigern. Eines sieht vor, nicht das E-Auto zur Tankstelle, sondern die Tankstelle zu den Autos zu schicken. Die Informatiker simulieren Verfahren, die es wie bei der Luftbetankung von Flugzeugen erlauben sollen, rollende Batterien auf Autobahnen an Elektromobile zu koppeln, um während der Fahrt deren Stromspeicher zu füllen.

Es sind Techniken des sogenannten Maschinellen Lernens, die KI-Anwendungen wie das autonome Fahren möglich gemacht haben. Damit könnten Programme heute wie ein menschlicher Fahrschüler trainiert werden, unter Zeitdruck, in unsicherer Umgebung, mit vagen und oft unvollständigen Informationen Entscheidungen zu fällen, so Wolfgang Wahlster.

Die DFKI-Informatiker nutzen dafür sogenannte mehrschichtige neuronale Netze, Programme, die von der Hirnforschung inspiriert sind. Maschinelles Lernen, so Wahlster, sei denn auch "mehr Training als Programmierung". Dabei hat der Computer im Vergleich zum Menschen einen großen Vorteil. Software kann in Fahrsimulationen tausende Testkilometer in virtuellen Welten abspulen, bevor sie erstmals auf die Straße muss. Solches Training im Simulator sei aber auch bitter nötig, "denn zu Beginn fährt ein KI-System meist erst einmal gegen die Wand", sagt Wahlster.

Auch in anderen Bereichen gibt es Fortschritte. Die Fehlerrate digitaler Assistenzsysteme, die mit gesprochener Sprache umgehen, ist zum Beispiel von zehn auf zwei Prozent gefallen, so der DFKI-Chef. Die Informatiker haben Computerprogrammen nicht nur beigebracht, Personen in Bildern und Videos zu identifizieren, sondern auch, ihre Gestik und Mimik zu analysieren.

Damit könnten Menschen und Maschinen auch in der Arbeitswelt dichter zusammenrücken. So entwickeln DFKI-Informatiker zum Beispiel Verfahren, die es ermöglichen, dass Monteure und Roboter in der Produktionsstraße eines Autoherstellers den Unterboden eines Fahrzeugs zusammenschrauben. "Das macht außer uns weltweit sonst niemand", sagt Wahlster. Mensch-Maschine-Mannschaften sollen auch beim Zerlegen ausgedienter Kernkraftwerke zum Einsatz kommen. Denn autonome Roboter könnten in einem radioaktiven Umfeld arbeiten, das für ihre menschlichen Partner tödlich wäre. Eine Bedrohung ist KI hier nicht - vielmehr eine Bereicherung.

(RP)
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