Berlin Gabriel will Arbeitgeber stärker belasten

Berlin · In der großen Koalition herrscht Katerstimmung. Die teuren Sozialreformen ziehen stark steigende Beiträge nach sich. Die SPD will bei der Finanzierung der Gesundheit zur Parität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zurückkehren.

Phasen guter Konjunktur gelten eigentlich als die richtige Zeit, um mit Reformen für Krisen vorzubauen. In der Sozialpolitik hält es die große Koalition genau umgekehrt. Selten hat eine Regierung zum Start so prall gefüllte Kassen vorgefunden wie die amtierende. Noch nie hat eine Regierung so viele teure Sozialreformen auf einen Schlag beschlossen: Rente, Gesundheit, Pflege.

Mittlerweile macht sich Katerstimmung breit: Die Rentenmilliarden sind verpulvert, ohne dass effektiv der Altersarmut vorgebeugt wurde. Für Gesundheit und Pflege kommen auf die Arbeitnehmer in den nächsten Jahren saftige Beitragserhöhungen zu.

Vor allem die steigenden Gesundheitskosten belasten die Arbeitnehmer. Bei den Beiträgen für die Gesundheit ist die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingeschränkt. Seit 2015 fließen alle Kostensteigerungen in den Zusatzbeitrag der Krankenkassen und gehen damit zu Lasten des Arbeitnehmers. Der Zusatzbeitrag unterscheidet sich von Krankenkasse zu Krankenkasse und liegt im Durchschnitt aktuell bei 1,1 Prozent. Den durchschnittlichen Kassenbeitrag von 15,7 Prozent zahlen also die Arbeitgeber mit 7,3 und die Arbeitnehmer mit 8,4 Prozent.

Die Sozialdemokraten bereuen es, dass sie sich mit der Union auf die ungleiche Verteilung der Gesundheitskosten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingelassen haben. Sie fordern eine Rückkehr zur Parität. "Die SPD will, dass die Krankenkassenbeiträge wieder zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmer getragen werden", sagte Parteichef Sigmar Gabriel der "Bild"-Zeitung. Die sogenannte Parität müsse auch bei den Zusatzbeiträgen gelten.

Gabriel erklärte zudem, als die Zusatzbeiträge vor über zehn Jahren eingeführt wurden, "hatten wir über fünf Millionen Arbeitslose und entsprechende Finanzprobleme bei den Kassen". Seitdem habe sich die Situation grundlegend verbessert. "Davon müssen jetzt auch die Beitragszahler profitieren."

Der SPD-Chef hat das Thema Zusatzbeiträge längst als Wahlkampfschlager für die SPD 2017 ausgemacht. Der Druck wird in den nächsten Jahren deutlich wachsen, denn die große Koalition hat kostspielige Reformen im Gesundheitsbereich beschlossen, die zu jährlichen Steigerungen des Zusatzbeitrags führen werden. Der Zusatzbeitrag wird nach einer Berechnung des Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem bis 2020 von heute 1,1 auf 2,4 Prozent steigen. Für einen Durchschnittsverdiener mit 3000 Euro monatlich entspricht das 39 Euro zusätzlich, die er jeden Monat zahlen muss. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) widersprach der Prognose und warnte vor Panikmache bei der Beitragsentwicklung. Er betonte, im Oktober werde der Schätzerkreis im Gesundheitswesen seine Prognosen für das kommende Jahr vorlegen, die sicherlich niedriger lägen. Er verwies darauf, dass die Ausgaben für Arzneimittel geringer anstiegen als erwartet.

Gröhe widersprach auch dem Ansinnen Gabriels. Die damalige rot-grüne Regierung sei 2006 aus gutem Grund davon abgerückt, gleiche Beiträge bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu erheben, sagte ein Sprecher. Das sei der gesetzlichen Krankenversicherung zugutegekommen. Es gebe daher keinen Grund für Änderungen.

Dennoch werden die Gesundheitsausgaben in den nächsten Jahren deutlich steigen. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Regierung, auch wenn sie nicht zur vollständigen Parität zurückkehrt, ab einer gewissen Schmerzgrenze die steigenden Gesundheitskosten wieder zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufteilen muss - also eine Art Obergrenze für den Zusatzbeitrag. Dem wird sich dauerhaft auch die Union nicht entziehen können.

Im Gesundheitsbereich schlägt vor allem die Krankenhausreform mit ihren milliardenschweren Investitionen für einen Umbau der Krankenhauslandschaft, bessere Pflege und mehr Qualität zu Buche. Weitere Kosten verursachen unter anderem das Palliativgesetz für eine bessere Versorgung sterbenskranker Menschen, das Präventionsgesetz für mehr Vorbeugung gegen Krankheiten und das E-Health-Gesetz für einen Ausbau der digitalen Kommunikation im Gesundheitswesen.

(qua)
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