Eric Schweitzer "NRW-Steuerpolitik schadet Mittelstand"

Düsseldorf · Der DIHK-Präsident attackiert die Landesregierung wegen ihrer Bundesratsblockade bei der Reform der Erbschaftsteuer.

 Eric Schweitzer, Präsident des DIHK, drängt auf eine Reform der Erbschaftssteuer.

Eric Schweitzer, Präsident des DIHK, drängt auf eine Reform der Erbschaftssteuer.

Foto: DPA / Hannibal Hanschke

Berlin Eric Schweitzer (51) steht seit drei Jahren an der Spitze des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der Dachorganisation der 79 Industrie- und Handelskammern. Zusammen mit seinem Bruder Axel führt er in Berlin die Alba Group mit 7500 Mitarbeitern, die bei der Abfallentsorgung in der Hauptstadt eine wichtige Rolle spielt.

Terrorgefahr, Ausnahmezustand in der Türkei, Brexit - wie wirkt all das auf die deutsche Exportwirtschaft?

Schweitzer Die deutschen Exporte nach Großbritannien dürften nach unserer Prognose wegen des Brexits im nächsten Jahr um fünf Prozent einbrechen. Das Vereinigte Königreich ist unser drittgrößter Exportmarkt. Zusätzliche Sorgen macht mir, dass international die Handelshemmnisse erheblich zugenommen haben. Zudem dämpfen die weltweiten Konflikte das Wachstum der deutschen Exportwirtschaft.

Revidieren Sie wegen des Brexits jetzt die DIHK-Wachstumsprognose?

Schweitzer Nein. Wir erwarten weiterhin 1,5 Prozent Wachstum im laufenden Jahr. Angesichts der vielen Unwägbarkeiten waren wir ohnehin eher vorsichtig. Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist aber entscheidend, dass es beim freien Waren-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehr mit Großbritannien bleibt.

Wie würde sich eine Hängepartie bei Austrittsverhandlungen auswirken?

Schweitzer Bei Entscheidungen mit dieser Tragweite geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Die britische Regierung scheint auf dieses Ergebnis nicht vorbereitet gewesen zu sein. Jetzt sollte man der neuen Regierung die Chance geben herauszufinden, was sie wirklich will.

Sollte die EU jetzt gegenüber London einen harten Kurs fahren?

Schweitzer Über 200.000 Arbeitsplätze sind von britischen Unternehmen allein in Deutschland geschaffen worden, deutsche Firmen beschäftigen umgekehrt im Königreich sogar 400.000 Menschen. Es ist daher im Interesse der deutschen und europäischen Wirtschaft, weiterhin ein sehr enges und kooperatives Verhältnis zu Großbritannien als der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt zu haben. Dazu gehört als Ziel die weitere Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften.

Drosseln deutsche Firmen jetzt auch ihre Investitionen in der Türkei?

Schweitzer Natürlich gibt es jetzt bei deutschen Unternehmen in der Türkei eine große Verunsicherung. Die politische Lage ist instabil, die türkische Lira hat stark abgewertet. Deutsche Firmen halten sich jetzt mit Investitionen zurück.

Warum stellen gerade größere Unternehmen so wenig Flüchtlinge ein?

Schweitzer Das Kernproblem ist nicht, dass Unternehmen keine Flüchtlinge einstellen wollen. In unseren Umfragen sagen drei Viertel der Unternehmen, dass sie bereit sind, Flüchtlingen zum Einstieg Praktika anzubieten. Doch die meisten Migranten sind noch nicht so weit. Wir wissen aus unserer Umfrage, dass vom Zeitpunkt des Grenzübertritts an durchschnittlich 22 Monate vergehen, bis ein Flüchtling eine Ausbildung beginnt. Er braucht dafür Kenntnisse der deutschen Sprache und schulische Qualifikationen wie Schreiben und Rechnen.

Welche Erwartung hat die Wirtschaft an die nächste Bundesregierung?

Schweitzer 2009 lagen die jährlichen Steuereinnahmen des Staates noch bei gut 520 Milliarden Euro. 2020 werden es über 800 Milliarden Euro sein. Jedes Jahr wachsen die Steuereinnahmen stärker, auch weil wir so viele Erwerbstätige haben wie noch nie. Wir brauchen in Deutschland daher keine Debatte über Steuererhöhungen, sondern eine über Steuerentlastungen. Konkret sollte der Einkommensteuertarif so abgeflacht werden, dass dadurch insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Und der Spitzensteuersatz darf erst bei einem Jahreseinkommen von deutlich über 53.000 Euro greifen.

Was passiert, wenn sich Bund und Länder nicht auf die Reform der Erbschaftsteuer einigen können?

Schweitzer Wenn wir unsere besondere Unternehmensstruktur erhalten wollen, die von Mittelstand und Familienunternehmen geprägt ist, sollte der vorliegende Entwurf umgesetzt werden. Union und SPD hatten im Bundestag einen akzeptablen Kompromiss ausgehandelt. Ich kann vor allem die Blockadehaltung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens im Bundesrat nicht nachvollziehen. Die NRW-SPD widerspricht hier ihrer eigenen Partei auf Bundesebene. Auch in NRW gibt es große wichtige Familienunternehmen. Die Landesregierung schadet damit ihrem eigenen Mittelstand. Ich rate dazu, jetzt die Zeit zu nutzen und schon bis zur ersten Sitzung des Vermittlungsausschusses einen Kompromiss zu finden. Die Politik sollte die Verunsicherung der Familienunternehmen durch eine Einigung beenden, bevor das Verfassungsgericht wieder über die Erbschaftsteuer berät. Denn dabei könnten Regelungen herauskommen, die zu noch größeren Belastungen für die Betriebe führen.

Das Verwaltungsgericht hat Ihnen verboten, zu bestimmten politischen Vorgängen Stellung zu nehmen. Riskieren Sie, dass die IHK-Pflichtmitgliedschaft infrage gestellt wird?

Schweitzer Diese Gefahr sehe ich nicht. Die Pflichtmitgliedschaft ist übrigens notwendiger denn je. Wir haben in Deutschland durch die duale Berufsausbildung die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dieses erfolgreiche Ausbildungssystem haben wir nur, weil die Kammern dafür verantwortlich sind. Das geht nur mit der Pflichtmitgliedschaft. Müsste der Staat die duale Ausbildung organisieren, würde sie nach meiner festen Überzeugung nicht so erfolgreich funktionieren.

(mar)
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