Wettlauf mit China und den USA EU soll wieder technologisch an die Spitze

Brüssel · Experten fordern mehr Geld für Schlüsseltechniken. EU-Haushaltskommissar Oettinger tritt auf die Bremse.

 Not amused: EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger.

Not amused: EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger.

Foto: dpa, zeus wie

Die europäische Industrie ist zwar das Rückgrat der Wirtschaft des Kontinents, leidet jedoch an einer ausgeprägten Innovationsschwäche. Europa sollte deshalb gezielt in Schlüsseltechnologien investieren, um Jobs in der Industrie zu erhalten. Das ist das Ergebnis eines Reports der hochrangigen Strategiegruppe für industrielle Technologien (High Level Strategy Group for Industrial Technologies) unter Führung des früheren deutschen Forschungsministers und späteren NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Der Report wird morgen unter Beisein von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und den Kommissaren Carlos Moedas (Forschung) und Elzbieta Bienkowska (Industrie) den Generaldirektionen für Industrie, Digitalisierung und Forschung in Brüssel vorgestellt. Er könnte Grundlage werden für das neunte Rahmenprogramm der europäischen Forschungsförderung. Die EU will von 2020 bis 2025 rund 87 Milliarden Euro für Innovationen ausgeben.

Es sind vor allem zwei Kennziffern, die den Experten Anlass zur Sorge geben. Zum einen stagniert in Europa nach einer Bertelsmann-Studie der reine technische Fortschritt, gemessen als totale Faktorproduktivität. In China dagegen lag das Wachstum in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts bei rund vier Prozent und erreichte zwischen 2011 und 2016 immerhin im Mittel drei Prozent, im Jahr 2017 sogar 3,5 Prozent. Die Hightech-Branche wächst in Asien und Nordamerika nach Erhebungen der Unternehmensberatung A. T. Kearney seit 2011 um jährlich fünf Prozent, während Europa nur auf zwei Prozent kommt. "Hier tut sich eine gefährliche Lücke auf", mahnte Rüttgers, in dessen Strategiegruppe sich Technologie-Manager, Wissenschaftler und Gewerkschafter befinden.

Die Gruppe empfiehlt auch eine aggressivere Gangart in der Industrie- und Technologiepolitik der EU. "Amerikaner, Israelis und Chinesen formulieren klare Ziele und stellen hohe Geldmittel bereit", sagte Rüttgers. Hier habe die EU Nachholbedarf. Grundsätzlich ist die industrielle Basis in Europa laut Bericht noch immer sehr stark. So ist nach Angaben des Reports das Verarbeitende Gewerbe, das 16 Prozent der Wertschöpfung in den EU-Staaten hervorbringt, für zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungsausgaben verantwortlich. Zugleich kommen mehr als 80 Prozent der Exporte aus der Industrie.

Die Strategiegruppe hat sechs Schlüsseltechnologien ausgemacht, die künftig die Innovationskraft einer Wirtschaft bestimmen. Darunter fallen zum einen fortschrittliche Produktionstechniken wie Roboter oder energiesparende Antriebsaggregate, dazu die Nanotechnologie, optoelektronische Verfahren, Biotechnologie, künstliche Intelligenz sowie Netzsicherheit und Breitbandtechnologien. "Der Ausbau des schnellen Internets, wie im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vorgesehen, wird allein nicht reichen", ist Rüttgers überzeugt.

Die EU müsse als Ziel ausgeben, wieder die Führung in der globalen Digitalisierung anzustreben. Die Gruppe macht geltend, dass eine Forschungsförderung in Höhe von drei Prozent des EU-weiten Bruttoinlandsprodukts in Europa bis zum Jahr 2025 insgesamt 3,7 Millionen neue Jobs hätten schaffen können. Ob Rüttgers' Plan Zustimmung findet, ist fraglich. EU-Forschungskommissar Moedas steht dem Papier der Expertengruppe positiv gegenüber. Digitalisierungskommissarin Marija Gabriel hat jedoch ein eigenes Programm, das sie im Mai vorstellt. Sie wird deshalb morgen gar nicht erscheinen. Eine allzu aggressive Industriepolitik, so deutsche Kritiker, vertrage sich auch nicht mit der Marktwirtschaft. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, der schon vor zwei Jahren die europäische Digitalisierungsstrategie ausgearbeitet hat, sieht die Pläne der Expertengruppe sehr kritisch.

(kes)
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