Jürgen Trittin Eine Atomstiftung wird es nicht geben

Der Chef der Kommission, die die Finanzierung des Atomausstiegs vorbereitet, will die Konzerne nicht aus dem Verursacherprinzip entlassen. Der Grünen-Politiker erwartet Zahlungen in bar. Zugleich will er das Diesel-Privileg streichen.

Düsseldorf Jürgen Trittin leitet die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission, die einen Weg zur Finanzierung des Atomausstiegs sucht. Ende Februar will sie ihre Empfehlungen vorlegen. Über die Folgen für Konzerne und Steuerzahler sprach der Grünen-Politiker mit unserer Redaktion. Zugleich sprachen wir mit Trittin, der sich auch auf Außenpolitik konzentriert, über die Flüchtlingskrise.

In Deutschland tobt eine Debatte um den Kohleausstieg. Wann ist er machbar?

Trittin Kohle hat keine Zukunft, das wissen Politik, Konzerne und Gewerkschaften - und die Finanzmärkte. Nun kommt es darauf an, den Ausstieg sozialverträglich zu organisieren. Deutschland hat beim Bergbau gezeigt, wie man das mit Bedacht macht.

Ist 2030 Schluss mit Braunkohle, wie es Reiner Priggen für machbar hält, oder 2050, wie Hannelore Kraft sagt?

Trittin Wenn man den Ausstieg ohne betriebsbedingte Kündigungen macht, ist man näher bei 2030 als bei 2050. Wenn wir den Prozess jetzt einleiten. Es macht keinen Sinn, den Strukturwandel aufzuhalten - das hat NRW erlebt. Lieber sollten wir die Energiewende vorantreiben, auch beim Thema Mobilität.

Sie wollen wie Umweltministerin Hendricks eine Kaufprämie für Elektroautos?

Trittin Umgedreht wird ein Schuh draus. Sie will jetzt endlich die Kaufprämie, die wir seit Jahren fordern. Per Doppelschlag ließe sich viel fürs Klima tun: Wir sollten die Privilegierung des Diesel bei der Mineralölsteuer streichen. Dann bekämen wir die Milliarden zusammen, die wir brauchen, um den Kauf von Elektroautos etwa mit 5000 Euro pro Stück zu fördern - und die Gleichstellung des Diesels bei der Kfz-Steuer herzustellen. Zugleich würde durch die sinkende Zahl der Diesel das Klima entlastet. Volkswagen ist, das zeigt auch der Abgasskandal, mit seiner Dieselstrategie gescheitert. Elektro- und Hybrid-Autos gehört die Zukunft.

Sie leiten die Atom-Kommission. Die EU hat ein Gutachten vorgelegt, wonach die Rückstellungen der Atomkonzerne europaweit zu gering sind. Wie sieht es in Deutschland aus?

Trittin Das Gutachten, das der Bundeswirtschaftsminister in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass die Rückstellungen der vier deutschen Atomkonzerne im europäischen Vergleich vertretbar sind.

Das heißt ausreichend hoch und sicher?

Trittin Ich sage: vertretbar. Das eigentliche Problem ist ein anderes, wie das Gutachten auch zeigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Konzerne die Rückstellungen auf Dauer auch erwirtschaften können, liegt nur bei 50 Prozent. Und da sind die vier Unternehmen unterschiedlich stark in Gefahr.

Sie sprechen RWE an. Was bedeutet eine Lösung des Ausstiegsproblems für den Steuerzahler?

Trittin Es gibt eine Pflicht der Konzerne, Rückbau, Verschrottung und die Endlagerung der Meiler zu finanzieren. Aber die Pflicht nützt nichts, wenn die Unternehmen nicht mehr existieren und die Rückstellungen weg sind. Dann muss der Staat, also der Steuerzahler, ran. Das Risiko, dass das passiert, wollen wir verringern. Da ist die Atomkommission auf einem gutem Weg.

Wird es eine Stiftung oder einen Fonds geben?

Trittin Bei der Stiftungsidee der Unternehmen würden sie komplett aus der Haftung für mögliche Kostensteigerungen entlassen. Das ist mit dem Verursacherprinzip nicht zu vereinbaren. Also braucht es einen anderen Weg.

Darf man die Konzerne denn aus der Haftung entlassen? Schließlich haben sie jahrelang Milliarden mit der Atomkraft verdient.

Trittin Das Verursacherprinzip gilt. Es kommt darauf an, zu sichern, dass wenn diese Gelder fällig sind, sie auch zur Verfügung stehen. Damit derjenige, der die Aufgaben von Rückbau bis zu Zwischen- und Endlagerung macht, sie auch bezahlen kann.

Klar ist, dass die Unternehmen ihre bereits gebildeten Rückstellungen von 38 Milliarden übertragen werden. Sollen sie cash zahlen oder dem Staat Anteile überlassen?

Trittin Wohl kaum alle. Der Börsenwert einiger der Unternehmen entspricht der Höhe der Rückstellungen. Das würde eine Komplett- Verstaatlichung bedeuten, das ist weder im Interesse des Staates noch der Unternehmen. Zudem: Einzelne Assets, die die Konzerne gerne abgeben würden, will niemand haben.

Zum Beispiel Kohlekraftwerke.

Trittin Aber zukunftsträchtige Sparten wie Windparks oder Stromnetze wollen die Konzerne nicht abgeben. Sie würden im eigenen Interesse wohl eher in Geld zahlen.

Die Milliarden hat RWE aber nicht ...

Trittin Ich will nicht über einzelne Konzerne reden. Grundsätzlich: Rückstellungen sind heute schon Fremdkapital. Unternehmen und Finanzmärkte werden einen sauberen Schnitt begrüßen. Ende Februar werden wir unseren Bericht vorstellen.

Zur Flüchtlingskrise: Müssen wir uns auf noch viel mehr Flüchtlinge einstellen?

Trittin Der Krieg ist die Fluchtursache. Solange er anhält fliehen Menschen, so lange wird es weiter Tote im Mittelmeer geben. Hier muss auch die Türkei handeln.

Was müssen wir den Türken bieten?

Trittin Wir müssen sie entlasten und in sehr umfänglicher Zahl endlich große Kontingente an Flüchtlingen nach Europa holen. Wir müssen aber sicherlich auch finanziell helfen, um die hohe Zahl der Flüchtlinge zu versorgen.

Wie viel kann Deutschland aufnehmen?

Trittin Europa wird am Ende sechsstellige Zahlen pro Jahr aufnehmen müssen, wenn wir nicht handeln. Genauer kann man es nicht sagen.

Das klingt nach Obergrenze.

Trittin Es wird weiter Flucht geben. Wenn wir das Sterben im Mittelmeer stoppen wollen, brauchen wir großzügige Aufnahmekontingente. Deutschland macht das Gegenteil. Es schickt Soldaten in die Ägäis und gauckelt der Öffentlichkeit vor, hier ginge es um die Jagd auf Schlepper. Das ist ein von der Leyen Märchen. Ihr geht es um Flüchtlingsabwehr.

ANTJE HÖNING UND MARTIN KESSLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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