Berlin/Dessau Die Vermessung der Luft

Berlin/Dessau · Immer häufiger werden in der Abgas-Debatte auch die EU-Vorgaben zu Schadstoffen thematisiert. Wir erklären die wichtigsten Grenzwerte, warum Luft drinnen schlechter sein darf als draußen, und was Dynamit mit Diesel zu tun hat.

Nicht erst seit den Richtlinien zur Gurkenkrümmung unterstellen viele der EU einen Reglementierungswahn. Die Tatsache, dass die Schadstoff-Grenzwerte in Deutschland auf der Straße teilweise niedriger sein sollen als im Büro, sehen viele als Beweis dafür, dass abstruse Vorschriften auch auf Bundesebene beschlossen werden. Dabei liefert das Umweltministerium dafür einen einfachen Grund. Wir haben im folgenden die derzeit gültigen und für die Zukunft beschlossenen Grenzwerte für Schadstoffe zusammengefasst:

Wie hoch ist der Grenzwert für Stickstoff auf der Straße?

Nach der seit 2015 geltenden EU-Verordnung gilt auf deutschen Straßen ein Höchstwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid je Kubikmeter. Das entspricht der Empfehlung der World Health Organization. Wie in vielen Fällen gibt es hier jedoch Ausnahmen: 18 Mal im Jahr darf der Wert für eine Stunde 200 Mikrogramm betragen. Bei 400 Mikrogramm liegt die Schwelle, bei der der Mitgliedsstaat zu Gegenmaßnahmen gezwungen ist.

Ist der zulässige Wert in Innenräumen höher?

Ja und nein: Für Büro- und Wohnräume gibt es keine EU-Verordnung, dafür aber mehrere - rechtlich unverbindliche - Richtwerte, die unter anderem das Umweltbundesamt und die Obersten Landesgesundheitsbehörden nach wissenschaftlichen Erkenntnissen festgelegt haben. Dieser liegt bei 60 Mikrogramm als Wochenmittelwert. Der Ausschuss für Gefahrstoffe des Bundesarbeitsministeriums hingegen setzt die Grenze mit 950 Mikrogramm wesentlich höher an. Dieser Wert darf zudem in der Praxis vorübergehend doppelt so hoch sein, allerdings nur für 15 Minuten.

Warum gibt es diese Unterschiede?

Die Richtwerte gelten für unterschiedliche Räume. Laut Umweltministerium kann sich Stickstoffdioxid in schlecht gelüfteten Gebäuden bilden, wenn offene Feuer oder Holzöfen brennen, oder beispielsweise Gasherde oder Dieselmotoren laufen - im Büro eher unüblich.

Wo gelten die höheren Richtwerte?

In Industrieanlagen, wenn geschweißt wird, und bei der Herstellung von Dynamit kann der hohe Grenzwert jedoch erreicht werden. Für den Gesetzgeber gelten Innenräume als Privatsphäre, daher gibt es keine Vorschriften, was Wohnungen betrifft. "Das heißt nicht, dass diese Stoffe unbedenklich sind", betont das Umweltbundesamt, "sondern nur, dass es keine rechtsverbindliche Regelung gibt." Außerdem sei zu beachten, dass der Arbeitsplatzgrenzwert für die "zeitlich begrenzte Belastung gesunder Arbeitender" gelte, während durch Stickstoffdioxid in der Außenluft auch empfindliche Personen wie Kinder, schwangere Frauen und Asthmatiker rund um die Uhr betroffen sein können.

Welche Schadstoffe gibt es im Büro?

Karlheinz Müller vom Berufsverband Deutscher Baubiologen warnt davor, dass nicht Stickoxide das Problem an den Arbeitsplätzen in geschlossenen Räumen sind: "Das sind vielmehr andere Dinge: große Tintendrucker für technische Zeichnungen oder Laserdrucker, die bei jedem Kopiervorgang feine Partikel freisetzen." Auch Reinigungsmittel seien oft problematisch, vor allem chemische Ersatzstoffe für Lösungsmittel, die etwa durch den Einsatz von Spezialreinigern an technischen Geräten in die Luft gelangten.

Was ist mit Kohlendioxid?

Neben dem für den Menschen schädlichen Stickstoffdioxid (NO2) ist auch der Klimaschädling Kohlenstoffdioxid (CO2) reglementiert. Der EU-Grenzwert von 130 Gramm je gefahrenem Kilometer richtet sich an die Autohersteller: Bis 2020 dürfen sie nur Neuwagen auf den Markt bringen, die ihn nicht überschreiten. Diese Regelung wurde 2013 verschärft: Ab 2021 muss der Katalog jedes Herstellers zu 95 Prozent aus Fahrzeugen bestehen, die weniger als 95 Gramm Kohlendioxid ausstoßen. Im Herbst dieses Jahres soll ein überarbeiteter Vorschlag der EU-Kommission veröffentlicht werden, der verschärfte Grenzwerte bis zum Jahr 2025 durchsetzen soll.

Wo liegt der Feinstaub-Grenzwert?

Beim Feinstaub bleibt alles beim Alten: Tageshöchstwert ist 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, mit 35 erlaubten Überschreitungen im Jahr. Dies wurde nach Angaben des Umweltministeriums mit Ausnahme der Stadt Neckarsulm seit Jahren eingehalten. Der Grenzwert im Jahresmittel liegt mit 40 Mikrogramm übrigens über der Empfehlung der World Health Organization (20 Mikrogramm). Das Umweltbundesamt begründet das mit dem "politischen Prozess" der Grenzwertfestlegung auf EU-Ebene.

(RP)
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