Essen Die Hüterin der Evonik-Milliarden

Essen · 25 Jahre nach der Vereinigung sind Ostdeutsche ganz oben angekommen. So wie Ute Wolf, Finanzvorstand des Essener Chemiekonzerns. Die Mathematikerin managte den Börsengang und behält einen kühlen Kopf im Übernahmefieber.

Essen: Die Hüterin der Evonik-Milliarden
Foto: Evonik

Das Ende der DDR bekam Ute Wolf erst gar nicht mit. "Am Tag, als die Mauer fiel, studierte ich in Dresden und schrieb an meiner Seminararbeit", sagt die Mathematikern. Erst am nächsten Tag habe sie die Nachricht gehört, die auch ihr Leben radikal verändern sollte. "Mir war sofort klar, dass dies das Ende des Staates DDR ist." Und für sie der Anfang eines neuen Lebens: Hätte die DDR fortbestanden, wäre die junge Frau nach dem Studium in einem volkseigenen Betrieb für Starkstromanlagenbau in Ostberlin gelandet. Im vereinten Deutschland machte sie eine ganz andere Karriere: Heute ist Ute Wolf Finanzvorstand des Chemiekonzerns Evonik.

Die 47-Jährige ist nicht nur eine der wenigen Frauen, sondern auch eine der wenigen Ostdeutschen, die es bis in die Spitze eines M-Dax-Konzerns gebracht haben. Noch jetzt, 25 Jahre nach der deutschen Vereinigung, schaut sie mit leisem Staunen auf ihre Karriere zurück.

Ute Wolf kommt aus einer Akademikerfamilie im thüringischen Friedrichroda, ihre Eltern waren Chemiker. Der Arbeiter- und Bauernstaat ließ sie dennoch studieren: Denn Wolf hatte gute Noten in der Schule, lernte gern Russisch, Englisch und Französisch und hätte am liebsten Fremdsprachen studiert. Doch was hätte sie mit einem Abschluss in Anglistik werden können im Land hinter der Mauer? Also studierte sie Mathematik. "Das waren harte Jahre. Im ersten Semester habe ich kaum etwas verstanden, aber das Studium hat mich das Durchhalten gelehrt."

So ist sie auch nicht gleich in den Westen aufgebrochen, erst zwei Wochen nach dem Fall der Mauer war sie das erste Mal in Westberlin. "Die schnellen Autos, die bunte Werbung, das war schon ein überwältigender Kontrast zur DDR."

Damals war Wolf im siebten Semester und stand kurz vor Ende ihres Studiums. "Mathematik ist Mathematik", sagte sich die 23-Jährige - und bewarb sich bei der Deutschen Bank. Ausgerechnet bei den Finanzkapitalisten also. Doch Ute Wolf sah das ganz pragmatisch: "Die Bank bot eine gute Trainee-Ausbildung und war offen für Absolventen aus allen Richtungen." Sie setzte sich in einer sehr "ambitionierten Gruppe" im Assessment-Center durch.

Später wechselte sie zur Deutschen Telekom als Teamleiterin Risikomanagement. Ausgerechnet sie, das Kind der DDR, half maßgeblich mit, den Staats- zum Börsenkonzern zu machen. "Hier habe ich gelernt, dass man viel erreichen kann, wenn man präzise Arbeit abliefert und verlässlich ist."

Dass dies nicht immer reicht, musste sie anschließend bei der Metro feststellen. Der Handelskonzern wurde damals von Hans-Joachim Körber gesteuert, der ein sehr traditionelles Verständnis von Personalführung und der Rolle von Frauen hatte. Die Handelsbranche sei "schnell, pragmatisch, ergebnisorientiert", das gefiel Wolf. Doch die Chance, zur Bereichsleiterin aufzusteigen, zerschlug sich. "Eine bittere Pille", wie Wolf in der Rückschau einräumt. "Dennoch war es eine wichtige Erfahrung."

Die Chance, sich in einer Führungsposition zu beweisen, bot sich stattdessen bei der RAG. Als Leiterin des Zentralbereichs Finanzen war sie am Umbau des Kohlekonzerns zu einem "strotznormalen Unternehmen" (Werner Müller) beteiligt. Das Ruhrgebiets-Monopoly begann. "Beim Kauf der Degussa hatte ich sechs Wochen Zeit, um von den Banken die erforderlichen Kreditzusagen in Milliardenhöhe zu beschaffen", sagte Wolf - und lieferte.

Aus dem großen Umbau ging Evonik hervor, Wolf wurde Herrscherin des Geldes in Essen. Heute hütet sie eine Kriegskasse von mehreren Milliarden Euro, die der schuldenfreie Konzern für Übernahmen nutzen will. Evonik werde nicht an der Seitenlinie stehen, wenn die Branche sich konsolidiere, hatte Evonik-Chef Klaus Engel als Marschroute ausgegeben. Dass er dabei nicht zu viel Geld auf den Tisch legt, darüber wacht Wolf. "Wir wollen weiter wachsen, ob auch durch Zukäufe, das prüfen wir mit kühlem Kopf", sagt sie. "Wir lassen uns nicht unter Zeitdruck setzen."

Investoren schätzen sie wegen ihrer klaren und verlässlichen Aussagen. "Versprechen und liefern, das ist wichtig, weil wir auch am Kapitalmarkt ein verlässlicher Partner sein wollen", sagt sie. Der Börsengang 2013 war auch ein großer Erfolg für sie, obgleich die Kurse erstmal fielen. "Wir mussten zunächst das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen." Doch 2015 habe Evonik die meisten Wettbewerber bei der Aktienperformance hinter sich gelassen.

Wolf hat im Konzern einen Ruf als Chefin der Sorte "hart aber fair". Ein Spitzname lautet: "Sputnik von Jena". Sie selbst sagt es so: "Ich bin sehr leistungsorientiert. Man setzt sich nicht durch, indem man nur nett ist. Ich trage Konflikte offen aus, was bei einer Frau vielleicht mehr auffällt." Wichtig ist ihr aber auch dies: "Ich fordere von meinen Mitarbeitern Kritik ein."

Von staatlicher Überregulierung wie der Frauenquote hält sie erwartungsgemäß nichts. Doch nun, wo die Quote da ist, sollten Firmen und Frauen sie auch nutzen. Ihr Tipp für Frauen, die Karriere machen wollen: "Gute Arbeit abliefern, systematisch Netzwerke aufbauen, über die eigenen Erfolge reden, in Kindern kein Karrierehindernis sehen."

Wolf lebt mit ihrem Mann, einem Zahnarzt, in Düsseldorf. Wenn man Finanzvorstand des Unternehmens ist, das Borussia Dortmund sponsert, kommt man am Fußball nicht vorbei. Privat läuft sie lieber und spielt Golf.

Aufsichtsrats-Chef Werner Müller hat das Ziel vorgegeben: Evonik soll bis 2017 im Dax sein. "Ob wir das schaffen, hängt von vielen Faktoren ab, von denen wir einige nicht beeinflussen können. Die RAG-Stiftung als größter Anteilseigner entscheidet, ob und wann sie Aktien verkauft und sich damit der 'Free float' erhöht", sagt Wolf. Das würde den Aufstieg in den Dax erleichtern.

Steil ist ihre Karriere schon jetzt. Der DDR trauert Ute Wolf nicht nach. Zwei Dinge aber waren dort besser, sagt sie: "In der DDR mussten Mütter sich nicht rechtfertigen, dass sie arbeiten gehen. Und die Menschen waren im Alltag oft hilfsbereiter."

(anh)
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