Interview mit BDI-Chef Ulrich Grillo "Die AfD ist ein Weckruf"

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, sprach mit unserer Redaktion über die neuen Konservativen der AfD, die ersten acht Monate der großen Koalition und die Zukunft der Energiewende.

Interview mit BDI-Chef Ulrich Grillo: "Die AfD ist ein Weckruf"
Foto: End

In diesem Raum hängen Fotos aller ehemaligen BDI-Präsidenten. Hans-Olaf Henkel ist ganz links zu sehen. . .

Grillo (lacht) Das ist in der Tat interessant.

Das bringt uns zur Frage, wie Sie die heutigen Auftritte von Herrn Henkel als Vize-Chef der AfD bewerten?

Grillo Grundsätzlich kommentiere ich nicht, was meine Vorgänger machen. Wenn ich diese Partei insgesamt betrachte, erkenne ich außer dem Thema Europa bislang kaum Inhalte. Da ist meine Analyse schnell beendet: Man muss abwarten, wie sie sich entwickelt. In absoluten Zahlen ist sie von der Bundestagswahl zur Europawahl gerade einmal um 8000 Stimmen gewachsen.

Ist es problematisch, dass sich eine Partei rechts von der Union etabliert?

Grillo Ob sie sich etabliert, wird sich zeigen. Aktuell sehe ich sie als einen Weckruf für die anderen Parteien. Viele haben diese neue Gruppe gewählt, um die etablierten Parteien wach zu rütteln. Weniger als die Hälfte der AfD-Wähler sieht nach einer Umfrage eher Nachteile einer deutschen EU-Mitgliedschaft, die Mehrheit eher Vorteile oder ein gemischtes Bild. Viele sind Protestwähler. Union und SPD werden sich mit ihnen auseinandersetzen müssen.

Ist die Merkel-CDU zu links geworden?

Grillo Nein, aber im Rahmen der großen Koalition kommt es schon zu Entscheidungen, die die CDU alleine so nicht getroffen hätte, wie beispielweise die Rente ab 63.

Wie bewerten Sie die ersten acht Monate der großen Koalition?

Grillo Sehr positiv bewerte ich die Außenpolitik. In der schwierigen Ukraine-Krise fühle ich mich mit der Bundesregierung gut aufgehoben, vor allem mit Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier. Bei der Energiewende ist positiv zu sehen, dass sich Wirtschaftsminister Gabriel und die Kanzlerin in Brüssel stark gemacht haben für Industrie und Arbeitsplätze in Deutschland.

Und das Negative?

Grillo Das Rentenpaket ist ein Riesenfehler. Solche Politik ist nicht tragfähig. Jedes zweite Kind, das heute geboren wird, wird voraussichtlich 100 Jahre alt. Wir müssen zusehen, dass unser Sozialsystem langfristig bezahlbar bleibt. Meine Hoffnung ist, dass jetzt zumindest der Einstieg in eine größere Flexibilisierung beim Eintritt in die Rente geschafft wurde. Wir müssen mehr dazu kommen, dass die Menschen größere Wahlmöglichkeiten haben und nicht fragen: Wie lange müssen wir arbeiten? Sondern: Wie lange dürfen wir arbeiten?

Ist die Industrie darauf eingestellt, Menschen auch im Rentenalter entsprechend länger zu beschäftigen?

Grillo Ja, wir brauchen unsere älteren Arbeitnehmer. Wer um die 70 Jahre alt ist, muss ja nicht mehr Vollzeit arbeiten. Es sollten viel mehr flexible Modelle geschaffen werden. Das muss sich natürlich für alle lohnen. Wer länger arbeitet, muss auch spürbar mehr Geld haben.

Wie wirkt sich der Mindestlohn aus?

Grillo Für die Industrie ist das kein unmittelbares Problem — wir zahlen im Durchschnitt rund 34 Euro pro Stunde. Ich kritisiere aber, dass der Mindestlohn die Tarifautonomie aushebelt. Sie ist eine der größten Errungenschaften Deutschlands. Es gibt zwar eine Kommission, die den Mindestlohn aushandeln wird. Aber ich verstehe nicht, dass die Gewerkschaften so begeistert über den Mindestlohn sind.

Welche Ausnahmen halten Sie für nötig?

Grillo Wir brauchen Ausnahmeregelungen, um mit dem Mindestlohn nicht zu viel Unheil anzurichten. Die Praktika für junge Leute müssen für die Unternehmen bezahlbar bleiben, sonst erschweren wir dieser Generation den Einstieg in einen qualifizierten Beruf. Es darf für junge Menschen auch nicht attraktiver sein, irgendeinen Job anzunehmen, anstatt eine Lehre zu machen. Die Altersgrenze 18 beim Mindestlohn halte ich für zu niedrig. Altersgrenzen sind nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Was machen wir denn mit einem jungen Menschen, der sich mit 18 oder 19 entschließt eine Lehre zu machen?

Die Ukraine-Krise hat die Stimmung der Unternehmen schon eingetrübt. Kommt jetzt der Abschwung?

Grillo Nein. Der Aufschwung geht weiter. Wir rechnen weiterhin mit einem robusten Wachstum von rund zwei Prozent in diesem Jahr. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass sich die Auswirkungen der Ukraine-Krise in Grenzen halten.

Wird die Zinssenkung der EZB die Konjunktur beflügeln?

Grillo Die neuerliche Zinssenkung wird ohne eine investitionsfreundliche Politik nur wenig bewirken. Die Zurückhaltung bei der Kreditvergabe in Südeuropa hängt mit den handfesten Problemen der dortigen Banken zusammen. Mit der Bankenunion sind wir auf dem richtigen Weg. Die EZB-Entscheidung ist ein Alarmsignal an die Politik: Die Geldpolitik kann die Versäumnisse der Regierungen nicht auf Dauer ausgleichen. Die Regierungen müssen Strukturreformen schneller umsetzen, damit die Länder wettbewerbsfähiger werden. Jetzt ist in Europa die Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik am Zuge. Ich glaube nicht, dass wir momentan Angst vor Deflation haben müssen.

In so guten Zeiten wie heute haben wir doch gute Voraussetzungen, dass wir die Energiewende schaffen, oder?

Grillo Grundsätzlich ja. Durch eine klug gestaltete Energiewende kann unsere Industrie ihre Innovationskraft ausbauen. Aber wenn Deutschland zugleich durch zu hohe Energiekosten manche systemrelevante Branche verliert, haben wir nichts gewonnen. Mit dieser EEG-Reform stehen wir erst am Anfang. Sie reicht bei Weitem nicht aus, um den Kostenanstieg zu stoppen. Wenn die Politik die deutsche Industrie schwächt, werden wir in ein paar Jahren wieder zum kranken Mann Europas.

Was müssen wir tun?

Grillo Wir müssen viel früher als erst ab 2017 beim Ökostrom zu einem Systemwechsel kommen: Der Staat sollte die Ökostrom-Mengen ausschreiben und den Produzenten schon ab 2015 keine staatliche Vergütung mehr garantieren. Die Ökostromproduzenten unterschätzen völlig ihre Marktmacht.

Zu einem Kostenstopp kann doch beitragen, dass der Kohlebergbau künftig die Hälfte der EEG-Umlage bezahlen soll, oder nicht?

Grillo Deutschland kann noch längere Zeit nicht auf die Kohleverstromung verzichten. Wir brauchen die fossile Energieversorgung. Sie muss die Lücken füllen, die naturgemäß entstehen durch einen immer größeren Anteil erneuerbarer Energien. Deshalb darf die Politik den Kohlebergbau nicht mit zusätzlichen Kosten belasten.

Sind Sie für Fracking in Deutschland?

Grillo Ich bin dafür, dass man das ergebnisoffen prüft. Ich bin dagegen, dass wir diese Technologie per se einfach verdammen und verbieten. Als Hochtechnologieland, das eine große Bergbautradition hat, sollten wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Wenn wir es umweltverträglich machen können, dann sollten wir es tun, auch in Nordrhein-Westfalen. In Niedersachsen nutzen Unternehmen diese Technik seit 35 Jahren. Die Ukraine-Krise zeigt, dass wir unabhängiger von Gas- oder Öllieferungen aus dem Ausland werden müssen.

Wie wird die Frauenquote die Realität in den Unternehmen verändern?

Grillo Es stimmt, wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. Aber die Einführung einer Frauenquote schafft nicht mehr passend qualifizierte Frauen als vorher, nicht mehr Frauen mit ausreichender Berufserfahrung und mit der Zeit, um einen Management-Job auszufüllen. Je mehr qualifizierte Frauen es in industrienahen Fächern gibt, umso größere Chancen auf Führungspositionen haben sie.

Aber die Selbstverpflichtung der Wirtschaft gibt es doch schon seit über zehn Jahren und der Anteil der Frauen in Spitzenpositionen ist immer noch verschwindend gering.

Grillo Der Anteil von Frauen in den Dax-30-Aufsichtsräten ist in dieser Zeit deutlich gestiegen, liegt bereits bei gut 23 Prozent. Es gibt aber immer noch zu wenige Frauen in der zweiten und dritten Management-Ebene. Keiner kann direkt von der vierten in die erste Führungsebene aufsteigen. Ich bin zuversichtlich, dass es die Dax-30-Unternehmen schaffen, die ab 2015 geltende gesetzliche Quote von 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten zu erfüllen.

(mar qua)
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