Düsseldorf Diagnose Arbeitskampf

Düsseldorf · Die kollektive Krankschreibung ist nur eine Alternative zum klassischen Streik. Auch der "Dienst nach Vorschrift" oder die Einberufung ungewöhnlich langer Betriebsversammlungen können Druck erzeugen.

Düsseldorf: Diagnose Arbeitskampf
Foto: Ferl

Während des schwelenden Tarifstreits bei der Supermarkt-Kette Real schlug ein Verdi-Mitglied auf dem Bundeskongress in Leipzig eine besondere Spielart vor, um die Arbeitgeber zur Weißglut zu bringen: Man könne die Kunden dazu animieren, kleine Einkäufe mit Münzgeld zu bezahlen - langsam und in Ruhe. Die Idee ist ein Beispiel für einen Flashmob und damit für eine andere Art des Arbeitskampfes.

Gerade erleben auch Tuifly und Air Berlin eine neue Konflikt-Kreativität. Deren Mitarbeiter melden sich reihenweise krank - der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei der kollektiven Krankmeldung um eine Form des "wilden Streiks" handelt. "Diese hatten wir zuletzt bei den Lufthansa-Flugbegleitern im vergangenen Jahr. Da haben sich auf einen Schlag einige Hundert krankgemeldet", sagt Hagen Lesch, Tarifexperte vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Die Möglichkeiten des Arbeitgebers, gegen kollektive Krankmeldungen vorzugehen, sind nach Angaben des Bochumer Arbeitsrechtsprofessors Jacob Joussen sehr stark begrenzt: "Auch wenn es sich klar um ein rechtswidriges Instrument handelt, müsste das Unternehmen seinen Beschäftigten nachweisen, dass sie sich zur Krankmeldung verabredet haben." Solange es keinen Beweis - etwa in Form einer Ketten-E-Mail - gebe, seien die Aussichten bei rechtlichen Schritten eher schlecht. "Der Arbeitgeber kann deshalb nur darauf pochen, dass der Beschäftigte vom ersten Tag an ein ärztliches Attest vorlegt", so Joussen.

Eine weitere Alternative zum klassischen Streik ist der "Dienst nach Vorschrift" - wenn der Mitarbeiter alle Pausen einhält, pünktlich Feierabend macht und Mehrarbeit strikt ablehnt. "Das ist eine Aktionsform, die vor allem im angelsächsischen Raum viel gängiger ist als bei uns", so Tarifexperte Lesch. "Dort rufen auch die Gewerkschaften offiziell zu solchen Bummel-Streiks auf. Bei uns sind sie die Ausnahme."

Bei Opel wehrten sich die Mitarbeiter mit Betriebsversammlungen: 2004 kamen die Opelaner für eine ganze Woche zusammen und legten so die Produktion lahm. "Der Begriff der Betriebsversammlung ist so weitreichend. Es genügte, dass die Beschäftigten zusammenkamen, um zu diskutieren", so Lesch. "Sie blieben dann auch weitgehend während dieser Zeit auf dem Opel-Gelände. Einige gaben an, sich nur für wenige Stunden nach Hause verabschiedet zu haben." Diese Form wurde 2013 noch einmal wiederholt, damals aber nur für 17 Stunden.

Lesch zufolge sind "die wilden Streiks auch ein Ausdruck der organisatorischen Schwäche von Gewerkschaften. Offenbar fühlt sich die Belegschaft nicht ausreichend von den Arbeitnehmerorganisationen vertreten und nimmt das Heft selbst in die Hand." Es sei denkbar, dass die Belegschaft es den Gewerkschaften angesichts der Rangeleien der vergangenen Monate nicht mehr zugetraut habe, in einer derart wirtschaftlich brenzligen Situation das Beste für sie herauszuholen. "Andersherum muss man sagen: Der Vorteil von starken, kollektiven Vertretungsorganen ist der, dass sie auch als Mittler auftreten und so derartige Eskalationen verhindern können. Das setzt allerdings voraus, dass das Management die Arbeitnehmervertreter ausreichend einbindet", sagt der IW-Tarifexperte.

Streiks, die nicht von Gewerkschaften ausgehen, sind Joussen zufolge rechtswidrig. "Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts muss hinter jedem Arbeitskampf eine Gewerkschaft stehen. Und auch sie darf nicht einfach so streiken, sondern nur zur Durchsetzung von Tarifverträgen." Doch auch die Gewerkschaften seien nicht nur auf den Streik beschränkt. Neben den immer noch umstrittenen Flashmobs sind unter bestimmten Voraussetzungen auch Unterstützungsstreiks möglich: Beschäftigte, die direkt gar nicht von einer Tarifauseinandersetzung betroffen sind, treten dabei aus Solidarität in einen Streik mit ein. Innerhalb eines Konzerns ist das nach Ansicht des BAG möglich, unter Umständen aber auch in vorgelagerten Produktionsstätten - etwa bei einem Zulieferer zur Durchsetzung von Forderungen im Autokonzern.

(maxi)
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