Kolumne Kurt Von Storch Der Zinsanstieg lässt auf sich warten

Schwaches Wachstum und hohe Staatsschulden sprechen gegen die Zinswende. Nur die US-Notenbank wird bald handeln.

Niedrigzinsen, Eurokrise, Börsenrekorde, Chinasorgen, Flüchtlingsströme oder Terrorangst - das Jahr 2015 war zweifellos turbulent und bewegend. Es spricht vieles dafür, dass 2016 dem Vorjahr in nichts nachstehen wird - im Guten wie im Schlechten. Versuchen wir uns also an einer Prognose, wenngleich sie sehr rudimentär ausfallen wird.

Das Anlageumfeld bleibt brutal, soviel ist sicher. Wer attraktive Renditen erzielen will, kommt nicht umhin, einen signifikanten Teil seines Vermögens langfristig in erstklassige Aktien zu investieren - wohl wissend, dass es in den kommenden Monaten auch noch einmal deutlicher nach unten gehen kann. Die Erwartungshaltung vieler Investoren ist nach dem kräftigen Kursplus der vergangenen Wochen jedenfalls relativ hoch, vielleicht etwas zu hoch. Das Wort "Jahresendrally" war zuletzt auffällig oft zu hören und zu lesen.

Bedeutsam und ermüdend zugleich ist die Diskussion um die Geldpolitik der US-Notenbank: Sie tut es, sie tut es nicht, sie tut es - und so weiter. Nachdem die Fed den Zeitpunkt, ihren Leitzins anzuheben, zuletzt immer wieder verschoben hat, scheint sie Mitte des Monats tatsächlich tätig werden zu wollen; man ist fast geneigt zu sagen: endlich. Womöglich folgt ein zweiter Zinsschritt bereits zu Beginn des kommenden Jahres. Die Geschichte hat uns jedenfalls gelehrt, dass sich die amerikanische Notenbank unmittelbar vor Präsidentschaftswahlen gewöhnlich zurückhält, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, in den Wahlkampf einzugreifen. Von daher spricht vieles dafür, dass die Zinsschritte, so sie denn kommen, relativ bald kommen werden - und nicht erst in der zweiten Jahreshälfte, unmittelbar vor der Präsidentenwahl im November.

Eindeutiger ist die Situation in der Eurozone: Die Europäische Zentralbank (EZB) scheint bereit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Zinsniveau niedrig zu halten und den Euro zu schwächen. Die jetzt verkündete Verlängerung des Anleihenkaufprogramms ist ein Beleg dafür. So direkt wird diese Absicht jedoch kein Notenbanker formulieren; offiziell heißt es, man wolle die Deflationsgefahr bekämpfen. Die Folgen für Anleger in der Eurozone sind allerdings die gleichen: Ihre Kaufkraft schwindet gegenüber anderen Währungen. Spätestens beim nächsten Urlaub in der Schweiz oder der Rundreise durch die USA bekommen Verbraucher die EZB-Politik zu spüren.

Was die Weltwirtschaft betrifft, dürfen wir 2016 keine Wunderdinge erwarten. Das Wachstum in den Schwellenländern fällt vermutlich deutlich geringer aus, als wir das aus früheren Jahren gewohnt sind. Alles in allem würde ich davon ausgehen, dass die Weltkonjunktur nur moderat, also etwa zwischen zweieinhalb und drei Prozent wachsen wird. 'New Normal' hat es Bill Gross genannt, die 'Neue Normalität'; ich finde, der Begriff trifft es ganz gut.

Die mäßigen Wachstumsperspektiven sowie die gewaltigen Staatsschulden wiederum stehen einer globalen Zinswende entgegen. Die US-Notenbank wird das bei ihrer Entscheidung berücksichtigen müssen; selbst eine moderate Leitzinsanhebung könnte dazu führen, dass Investoren in großem Stil Geld aus den Schwellenländern abziehen, um es in die Vereinigten Staaten zu transferieren. Die betroffenen Staaten und deren Währungen könnten kräftig unter Druck geraten. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass wir schon bald darüber diskutieren werden, ob der Zins nicht zu früh angehoben wurde und die Fed ihre Entscheidung nicht wieder zurücknehmen muss.

(RP)
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