Essen Der lange Abschied vom Fräulein

Essen · Vor 110 Jahren stellte die Chemie erstmals Frauen an, sie durften nur bis zur Hochzeit bleiben. Bis 1976 benötigte eine Ehefrau die Erlaubnis ihres Mannes, um zu arbeiten. Der Weg zur Gleichberechtigung war steinig, wie eine Evonik-Ausstellung zeigt.

Heute führt eine Frau Deutschland, das Personal bei Henkel, die Finanzen bei Lufthansa und Evonik. Doch der Weg zur Gleichberechtigung war lang und steinig, wie beispielhaft eine Ausstellung zeigt, für die Evonik als erster Chemiekonzern seine Archive geöffnet hat.

Bei den Vorgängern von Evonik war das Ende der Männerwirtschaft 1906 gekommen, als Fräulein Else Aldendorf beim Chemieunternehmen Goldschmidt in Essen anfing - als Sekretärin für den Leiter der Patentabteilung. Innovationen waren eben sein Geschäft. Fräulein Aldendorf arbeitete hervorragend. Sie machte so den Weg für andere frei und zugleich deutlich, wie antiquiert viele Gesetze waren.

1900 war das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft getreten und hatte erst noch mal festgeschrieben, wer Herr im Haus war: Der Ehemann hat das Entscheidungsrecht in allen Fragen des Ehelebens - auch bei der Frage, ob die Frau arbeiten darf. Kein Wunder, dass die ersten weiblichen Angestellten der Industrie ledig waren. Wenn sie dann heirateten, war es üblich, dass man ihnen kündigte.

Der Erste Weltkrieg, als der Kaiser die Männer aus den Fabriken in die Schützengräben schickte, zwang die Unternehmen, sich zu öffnen. Die Begeisterung hielt sich aber in Grenzen: Der Personalchef der Degussa etwa schrieb 1916, dass man "notgedrungen eine ganze Reihe von Damen in unseren Büros eingestellt" habe. Doch Schritt für Schritt eroberten Frauen ihren Platz.

Die Nationalsozialisten versuchten dann, aus ideologischen Gründen Frauen wieder aus der Arbeitswelt zu verdrängen. Sie schafften die Möglichkeit der Habilitation an den Universitäten ab und führten das Mutterkreuz ein. Sie verhängten eine negative Quote (Nur zehn Prozent der Studierenden durften weiblich sein) und verboten Frauen manche technische Berufe ganz. Als am Ende des Zweiten Weltkriegs die Arbeitskräfte fehlten, schickten Unternehmen dann Frauen in die Fabriken und Büros. Oft auch Zwangsarbeiterinnen, die unter grausamen Bedingungen arbeiten mussten.

1949 wurde die Gleichberechtigung von Frau und Mann im Grundgesetz der jungen Republik verankert. Doch im Alltag war davon wenig zu spüren. Im 1958 eingeführten "Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau" legte der Bundestag zwar fest, dass Frauen erwerbstätig sein dürfen - aber nur "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist". Erst 1976 wurde dieser Bevormundungs-Paragraf wieder gekippt.

1954 hatte der Bundestag entschieden, dass die Bezeichnung "Fräulein" für unverheiratete Frauen im amtlichen Sprachgebrauch gültig blieb. Die Ausstellung zeigt Briefe von Frauen, die dagegen ankämpften: "Wie alt muss man eigentlich sein, bis auch die Degussa Frau statt Fräulein sagt?", schreibt eine Hildegard Blume an den Degussa-Vorstand und führt als Argument an: "Frau hat vier Schreibmaschinenanschläge weniger als Fräulein, das spart Arbeitszeit." Das war 1964, da schrieben die Rolling Stones gerade "Satisfaction". Erst in den 1980er Jahren wurde der Titel Fräulein ganz abgeschafft.

Erst 1994 wurde das Nachtarbeitsverbot für Frauen aufgehoben, 2001 wurde der Anspruch auf Teilzeitarbeit festgeschrieben. Schule, Hochschule, Betriebe - heute sind Frauen gleichberechtigt. "Das Problem bleibt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, da können wir alle mehr tun", meint Evonik-Chef Klaus Engel. Dass 25 Prozent seiner 33.000 Beschäftigten Frauen sind, hält auch er für ausbaufähig.

Info Die Ausstellung ist bis zum 8. Dezember im Foyer von Evonik in Essen zu sehen. Besucher können sie im Rahmen kostenloser Führungen an einzelnen Tagen sehen. Anmeldung: konzernarchiv@evonik.com oder 06181/59-12871.

(anh)
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