London Der Brexit hat begonnen

London · Seit gestern verhandeln Großbritannien und die EU über den Austritt des Landes aus der Union. Der Ton ist freundlich. Doch die in Aussicht gestellte Bleibegarantie für die 3,2 Millionen EU-Bürger bleibt London noch schuldig.

Lange hat es gedauert bis zur ersten Runde der Brexit-Gespräche. Ein Jahr nach dem Referendum ging es gestern um 10.58 Uhr endlich los. Der britische Brexit-Minister David Davis und EU-Unterhändler Michel Barnier schütteln sich lächelnd vor Union Jack und Europaflagge die Hände. Barnier drückt den Briten sein Mitgefühl aus nach den "tragischen Ereignissen" in London wie dem Terroranschlag. Davis nimmt das dankbar auf. "In solch schweren Zeiten werden wir an die Werte und Entschlossenheit erinnert, die wir mit unseren engsten Verbündeten in Europa teilen", sagt der Minister. "Uns verbindet mehr als uns trennt." Fast glaubt man, der EU-Austritt wäre nur ein großes Missverständnis. Doch die Liste der Knackpunkte ist groß.

EU-Bürger Britische Medien hatten über Pläne von Davis für ein Versöhnungsgeschenk berichtet. Alle EU-Bürger, die vor dem Austrittsantrag vom 29. März nach Großbritannien kamen, sollen ihre Rechte behalten - ohne um Arbeitserlaubnis, Rente oder Krankenversicherung fürchten zu müssen. Gestern blieb das Angebot noch aus. Barnier hatte zuvor schon gefragt, was denn daran großzügig sei, Bürgern ihre bereits bestehenden Rechte zuzusichern. Die EU will erst die Rechte ihrer Bürger klären, bevor sie über Handelsabkommen verhandelt. Gestern betonte Barnier: "Zuerst müssen wir die Unsicherheiten angehen, die der Brexit verursacht." Es geht um die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich und der eine Million Briten in der EU.

Unternehmen Das dickste Brett wird die Gestaltung der künftigen Handelsbeziehungen. Davis wiederholt gestern die Formulierung von Premierministerin Theresa May von der "tiefen und besonderen Partnerschaft". In seinem schriftlichen Statement klingt er fast wie US-Präsident Donald Trump und verspricht einen "Deal, wie es ihn in der Geschichte noch nie gab". Was das aber genau sein soll, ist unklar. Ein Freihandelsabkommen ohne Zölle, aber auch ohne Pflichten gegenüber der EU? Das lehnt Brüssel als "Rosinenpickerei" ab. Machbar scheint dagegen eine Lösung bei den finanziellen Verpflichtungen, der "Brexit Bill". Die Briten wollen am liebsten gar nichts mehr an die EU überweisen, das war ja ein Ziel beim Brexit. Auf EU-Seite kursieren dagegen Forderungen von bis zu 100 Milliarden Euro, etwa für Zusagen für EU-Programme oder Pensionsverpflichtungen. Am Ende dürfte ein Kompromiss stehen.

Irland-Frage Kompliziert wird die Gestaltung der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland. Nach dem Austritt verläuft die Grenze mitten über die Insel. Waren und Reisende müssten strikt kontrolliert werden. Ein Kraftakt: 117.000 Lkw fahren jeden Monat über die irische Grenze. Eine harte Grenze wäre zudem politischer Sprengstoff und würde die Frage nach der Vereinigung Irlands aufwerfen. Die EU fordert deshalb in ihren Verhandlungsleitlinien "flexible und fantasiereiche Lösungen".

Börsen An den Finanzmärkten sieht man den Start der Verhandlungen optimistisch. Das Pfund Sterling zog gestern auf 1,28 Dollar an. Die größte Sorge der Wirtschaft und damit auch der Börsianer ist es, dass es die Verhandlungspartner nicht schaffen, bis März 2019 neue Abkommen zu formulieren, die an die Stelle der Mitgliedschaft treten. 17.000 EU-Verordnungen müssen in britisches Recht umgewandelt werden. Das Risiko, dass Großbritannien am Ende ohne Abkommen mit der EU dastehe, sei nicht zu unterschätzen, warnten Experten der Bank Barclays. "Das Pfund dürfte daher unter Druck bleiben."

(anh/dpa)
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