Ralf Wirsing "Computerspiele sind Schlüsseltechnologie"

Der Geschäftsführer der Deutschland-Dependance des französischen Computerspiel-Unternehmens Ubisoft spricht über die Entwicklung der Branche, die Nachwuchsförderung und Vorwürfe nach dem Amoklauf von München.

Herr Wirsing, Sie sind seit fast 20 Jahren bei Ubisoft. Wie hat sich die Spielebranche in dieser Zeit verändert?

Wirsing Die Spielebranche ist eine der dynamischsten überhaupt. Vor 20 Jahren haben wir ein Produkt entwickelt, es verpackt und dann verkauft. Das war es dann. Damals gab es keine Smartphones, das Internet war langsam und teuer. Heute ist noch lange nicht Schluss, wenn wir ein Spiel auf den Markt bringen. Dazu kommen Erweiterungen, die wir nach und nach anbieten, um das Spiel selbst dann noch fortzuführen, wenn es längst beim Kunden ist. Nach dem Kauf kann ein Spieler so noch über Monate, in Einzelfällen sogar noch über Jahre etwas von einem Spiel haben - während wir bereits neue Produkte entwickeln. Hinzu kommen Apps für Smartphones und Tablets. So binden wir den Kunden natürlich auch an uns. Jede Minute, die er mit unseren Spielen verbringt, verbringt er nicht mit der Konkurrenz.

Wie hat sich der Spieler verändert?

Wirsing Vor 20 Jahren dachte niemand an soziale Netzwerke. Heute spielt man nicht mehr allein. Erfolge und besondere Momente in einem Spiel werden geteilt, man will mit Freunden spielen oder mit einer größeren Gruppe in einem Online-Spiel. Und man will sich mit anderen messen. Das liegt in der Natur des Menschen. Das sind Wünsche, auf die wir reagieren müssen.

Die technischen Möglichkeiten bestimmen ihr Geschäft?

Wirsing Ja, und daran sind wir nicht unschuldig. Wir dringen ja darauf, dass Grafikkarten immer besser und Prozessoren immer schneller werden. Weil unsere Spiele so noch lebensechter, die Grafiken noch detailreicher werden und komplexere, größere Spielwelten möglich sind. So aber stoßen wir Entwicklungen weit über die Spielebranche hinaus an, die dann ihren Niederschlag in vielen Bereichen finden. Von leistungsfähigeren Computern beispielsweise profitiert jeder. Das macht uns zu einer Schlüsseltechnologie, die hinter vielen Innovationen steckt und auch Vorreiter ist.

Wo sehen Sie sich als Vorreiter?

Wirsing Derzeit bei Virtual Reality. Die Systeme sind jetzt da, und wir entwickeln Spiele dafür. Aber die Möglichkeiten sind noch viel größer. In der Medizin oder bei Schulungs- oder Bildungsprogrammen. Diese Virtual-Reality-Anwendungen werden von unseren Erfahrungen und unseren Lösungen profitieren.

Aber das stellt Sie erneut vor die Herausforderung, zeitgleich nicht nur eine Technik zu bedienen.

Wirsing Heutzutage besteht die Anforderung, ein Spiel für den PC, für Konsolen, für iOS und Android zu entwickeln. Das müssen wir organisieren, und das schaffen wir über unsere verschiedenen Studios mit weltweit rund 10.000 Mitarbeitern. Das eine Studio hat Erfahrung mit Apps und programmiert sie. Das andere hat Erfahrungen mit Online-Spielen. Diese Expertise führen wir zusammen, und daraus wächst am Ende ein Titel, der auf mehreren Plattformen vertreten ist.

Ist der Aufwand ein Problem?

Wirsing Ich sehe das als Chance. Wir haben so die Möglichkeit, auf verschiedenen Plattformen präsent zu sein und insbesondere über Smartphone- und Tablet-Apps neue Zielgruppen anzusprechen und für uns zu gewinnen. Wir erweitern so unseren Markt.

Wie sieht es in Ihrer Branche mit dem Nachwuchs aus?

Wirsing Wir sind in Düsseldorf 70 Leute, aber wir sind eine Business-Einheit. Wir entwickeln nicht. Und da sieht es mit dem Nachwuchs gut aus, wobei ich immer gerne stolz erzähle, dass uns ein Großteil der Belegschaft schon viele Jahre begleitet und die Fluktuation sehr gering ist. Bei unserer Tochter Blue Byte, die mit 200 Leuten in Düsseldorf und 100 in Mainz vertreten ist, sieht es anders aus. Die entwickeln Spiele, und Programmierer, Grafik- oder Leveldesigner sind nicht so leicht zu kriegen. Es bewegt sich zwar etwas mit neuen Gamedesign-Studiengängen beispielsweise in Köln oder Düsseldorf und bei privaten Akademien. Wir unterstützen das auch. Aber es könnte noch besser sein.

Was stellen Sie sich da vor?

Wirsing Computerspiele sind längst ein kulturelles Gut und kein Nischenprodukt. Bei der Film- und Computerspielförderung liegt der Schwerpunkt aber auf Film. Da kann sich noch etwas ändern, um junge Talente zu fördern. Sie brauchen Erfahrung, wenn sie in der Branche Fuß fassen wollen. Darum rate ich auch allen jungen Leuten, die sich das vorstellen können, einfach mal zu Hause zu experimentieren. Es gibt entsprechende Programme und günstige Bildbearbeitungssoftware, die man herunterladen kann. Damit sollen sie ein bisschen herumspielen, eigene Welten schaffen, Charaktere kreieren, eben Erfahrung sammeln. Das muss noch nicht perfekt sein.

Wie reagieren Sie, wenn nach einem Amoklauf Computerspiele mitverantwortlich gemacht werden?

Wirsing Wir gestalten den Jugendschutz bereits aktiv mit. Wir arbeiten mit Schulen und Kindergärten zusammen, wenn es um den Umgang mit Medien geht, und klären auf. Aber auch wenn ein Spiel deutlich als "Ab 18" gekennzeichnet ist, haben wir keinen Einfluss darauf, was hinter der Haustür geschieht.

Das heißt, der Vorwurf . . .

Wirsing . . . ist ungerechtfertigt, und den möchte ich auch so nicht stehenlassen. Natürlich ist solch ein Ereignis schrecklich tragisch, doch sind die Ursachen vielschichtig. Es wurde wissenschaftlich belegt, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren bedarf, damit Menschen gewalttätig werden. Es gibt keinen wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger digitaler Spiele und tatsächlichem aggressiven Verhalten. Und Politiker aller Parteien in meinem Alter, mit denen ich geredet habe, stimmen darin überein.

LUDWIG JOVANOVIC FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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