London Britische Stahlkocher zürnen Tata Steel

London · Die Sorge vor dem Aus für die britische Stahlbranche ist enorm, nachdem die Inder ihren Ausstieg angekündigt hatten. In London rufen die großen Gewerkschaften Stahlarbeiter aus dem ganzen Land zusammen. Die Zeit wird knapp.

Der Hilferuf kommt kurz und prägnant im Telegrafen-Stil daher: "SOS - Save Our Steel" ("Rettet unseren Stahl") steht auf den Buttons, die sich viele britische Stahlarbeiter an diesem Tag ans Revers geheftet haben. Die Nachricht, dass sich der indische Stahlkonzern Tata Steel von seinen Stahlwerken in Großbritannien trennen will, hat Wirtschaft und Politik auf der Insel in Aufregung versetzt. Gestern kamen die betroffenen Stahlarbeiter in der britischen Hauptstadt mit Vertretern ihrer Gewerkschaften zu einem Krisentreffen zusammen.

Der Vorsitzende der einen großen Gewerkschaft Community, Roy Rickhuss, fand kurz vor dem Treffen mit Vertretern jedes einzelnen britischen Werks deutliche Worte: "Dieser Termin wird ein Schlüsselmoment für unsere Kampagne sein. Inzwischen unterschätzt niemand mehr das Ausmaß der Herausforderung: Wir müssen eine ganze Branche retten - und das, ohne wirklich viel Zeit zu haben."

Tata Steel hatte in der vergangenen Woche überraschend erklärt, sich von seinen britischen Werken trennen zu wollen. Dadurch sind 15.000 Stellen im Unternehmen selbst gefährdet - insbesondere im walisischen Werk Port Talbot mit seinen 4000 Beschäftigten. Hinzu kommen noch einmal 25.000 Jobs bei Zulieferern und Stahl-Abnehmern. Tata hatte den Rückzug mit seinen massiven Verlusten begründet. Das Unternehmen gab an, eine Million Pfund täglich zu verlieren (1,25 Millionen Euro). Nach Informationen des britischen "Observer" könnten es sogar etwa 2,5 Millionen Pfund pro Tag sein.

Grund für die angespannte Lage ist die schwierige Marktsituation, unter der nicht nur die Hersteller auf der Insel leiden. Insbesondere der von den Chinesen unter Herstellungskosten auf den Markt gebrachte Billig-Stahl drückt die Preise. Die EU sah sich jüngst dazu genötigt, der hiesigen Branche zur Seite zu springen - auch mit Anti-Dumping-Zöllen.

Für die Briten kommen diese Hilfsversprechen aber augenscheinlich zu spät. Das große Zittern um die Jobs hat längst begonnen. Denn die Frage, ob sich tatsächlich ein Käufer für die Werke findet, ist angesichts der hohen Pensionsverpflichtungen von umgerechnet 18,8 Milliarden Euro höchst ungewiss. Während die konservative Regierung von David Cameron zunächst versuchte, die Wogen damit zu glätten, bei öffentlichen Aufträgen künftig ausschließlich britischen Stahl einzusetzen, werden von den Oppositionsparteien und den Gewerkschaften die Rufe nach einer Verstaatlichung der Branche lauter.

Der Chef der walisischen Regionalregierung, Carwyn Jones, erklärte, es gebe erste Gespräche mit Interessenten für die britischen Werke, und forderte Tata dazu auf, für solche Verhandlungen genügend Zeit einzuräumen. Wie der "Observer" berichtet, galt ausgerechnet der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp als möglicher Käufer der britischen Werke. Allerdings seien die Deutschen wegen der hohen Pensionslast wieder abgesprungen. Inzwischen verhandelt Thyssenkrupp mit Tata über einen Einstieg der Inder bei der Stahlsparte der Deutschen. Die Analysten der Commerzbank gaben gestern eine Kaufempfehlung für Thyssenkrupp-Aktien mit einem Kursziel von 23 Euro ab. Dass wegen des Tata-Interesses ein Bieterwettstreit stattfinden könne, glauben die Analysten jedoch nicht.

(maxi)
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