Krankheiten offenbar nicht korrekt gemeldet Amt: Krankenkassen tricksen mit Versicherten-Daten

Berlin · Etwa jede zweite Krankenkasse in Deutschland steht im Verdacht, die Krankheiten ihrer Versicherten unkorrekt zu melden. Vielfach werden die Patienten offensichtlich auf dem Papier kränker gemacht, als sie in Wahrheit sind.

Dies geht aus einem Schreiben des Bundesversicherungsamtes an den Spitzenverband der Krankenkassen hervor, das unserer Redaktion vorliegt.

Demnach entdeckten die Beamten bei insgesamt 59 von derzeit 134 Krankenkassen Auffälligkeiten und forderten die Kassen zu einer Erklärung auf.

"Kassen optimieren Patienten-Daten"

In der Debatte um manipulierte Krankenkassendaten hat der Chef der Siemens Betriebskrankenkasse, Hans Unterhuber, bestätigt, dass die Krankenkassen bei der Auswertung von Versicherten-Daten große Anstrengungen unternehmen.

"Nicht nur die Pharma-Industrie, auch Krankenkassen statten teilweise Arztpraxen mit Software aus, um die Kodierung der Patienten zu optimieren", sagte Unterhuber unserer Redaktion. "Jede Kasse setzt hochbezahlte, intelligente Leute ein, damit die Daten so an das Bundesversicherungsamt gehen, dass auch Geld fließt", sagte er.

Unterhuber kritisierte, es sei "für eine Krankenkasse ein perverser Anreiz, statistisch möglichst viele Kranke mit möglichst vielen Krankheiten vorweisen zu können." Er forderte mehr Transparenz im Finanzsystem der Kassen und ein Kontrollrecht des Parlaments.

Je kränker, desto mehr Geld

Für die Kassen ist es lukrativ, wenn ihre Versicherten für die Statistik schlimmere Erkrankungen aufweisen, als dies tatsächlich der Fall ist. Die Höhe der Gelder, die die Kassen aus dem Gesundheitsfonds erhalten, bemisst sich nach Alter und Gesundheitszustand ihrer Versicherten — je kränker die Versicherten sind, desto mehr Geld gibt es.

Das Bundesversicherungsamt überprüfte die Krankheits-Einstufungen sowohl im ambulanten wie auch im Krankenhausbereich. Jeweils 26 Kassen fielen mit Unregelmäßigkeiten auf. In einer weiteren Prüfrunde wurden noch weitere Kassen entdeckt. Im Bereich der Krankenhausdaten wurden vor allem BKKen, eine AOK, eine IKK und eine Ersatzkasse aktenkundig. Bei der Zuordnung von Krankheiten zu Versicherten im Praxis-Bereich findet sich eine bunte Mischung aller Kassenarten.

Herzinfarkte stiegen um 280 Prozent

Die betroffenen Krankenkassen wurden vom Bundesversicherungsamt aufgefordert, ihre Unregelmäßigkeiten zu erklären. So muss beispielsweise eine BKK plausibel machen, warum in einem Jahr die Zahl der Herzinfarkte bei ihren Versicherten um mehr als 280 Prozent gestiegen ist, während sie durchschnittlich bei allen Kassen um weniger als ein Prozent in die Höhe ging. Eine Ersatzkasse wiederum verzeichnete eine Vermehrung von Hautgeschwüren bei ihren Versicherten um mehr als 30 Prozent, während dieses Krankheitsbild im gesamten Kassensystem um gerade einmal 1,5 Prozent anstieg. Den betroffenen Kassen drohen finanzielle Sanktionen: Sollte es ihnen nicht gelingen, die erheblichen Abweichungen vom Durchschnitt der Krankheitsbilder zu erklären, kann das Bundesversicherungsamt den Kassen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds kürzen.

Die Krankenkassen stehen derzeit in der Kritik. Am Wochenende wurde bekannt, dass sie ihre Ausgaben für Präventionen gekürzt haben. Auch die massenweise Rücknahme von Krankschreibungen oder die Ablehnung von Hilfsmitteln ist in der Diskussion. Die Finanzlage der Kassen ist derzeit sehr gut. Insgesamt liegen die Überschüsse aktuell bei 29 Milliarden Euro.

Update (12.40 Uhr): Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung hat eine Aufklärung des Manipulationsverdachts bei Krankenkassen zugesagt. Der Sprecher des Kassenverbands, Florian Lanz, sagte: "Vorhandene Unstimmigkeiten werden nun im direkten Dialog zwischen den jeweils betroffenen Krankenkassen und dem Bundesversicherungsamt geklärt." Es handele sich um Daten von 2009. Der Sprecher des Amts, Tobias Schmidt, sagte der dpa, es sei möglich, dass die Kassen die statistischen Auffälligkeiten ausreichend erklären könnten.

(qua)
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