Wintersportler aus Afrika Ein Kenianer in der Loipe

Düsseldorf/Eldoret · Vor 20 Jahren startete Philip Boit als erster Kenianer bei Winterspielen. In Pyeongchang geht nun seine Nachfolgerin an den Start.

 Philip Boit 1998 bei den Spielen von Nagano im Ziel.

Philip Boit 1998 bei den Spielen von Nagano im Ziel.

Foto: Imago

Auf einer Hochebene im Westen Kenias liegt die fünftgrößte Stadt des Landes. Eldoret bietet seinen Besuchern vor allem Staub, Trubel und Lärm. Berühmt ist der Ort hingegen für seine Läufer. Hier, gut 2000 Meter über dem Meeresspiegel, ist die Wiege der kenianischen Leichtathletik.

Der Traum vom Wohlstand ist im kargen Hochland eng mit dem Sport verbunden. In Eldoret treffen sich jährlich die Besten zu Wettkämpfen, trainieren für einen Platz in der kenianischen Läuferriege. Wer sich in Kenia durchsetzt, der ist auch in der Welt ganz vorne.

Philip Boit stammt selbst aus einer berühmten Läuferfamilie. Sein Cousin Mike gewinnt 1972 bei den Olympischen Spielen in München Bronze über 800 Meter. Auch Philip überzeugt über die doppelte Stadionrunde. Mit seiner Bestzeit von 1:46,7 Minuten wäre er in den vergangenen acht Jahren stets Deutscher Meister geworden, in Kenia jedoch ist er damit allenfalls erweiterte Spitze.

Im Herbst 1995 wird der damals 23-jährige Boit durch seinen Trainer auf ein Projekt aufmerksam. Der Sportartikelhersteller Nike sucht Kenianer, die auf Skilanglauf umsatteln wollen. Ein PR-Gag, ganz im Geist der berühmten jamaikanischen Bobmannschaft aus "Cool Runnings". Als einer von zwei Kenianern reist er 1996 nach Finnland zum Training. Nach zwei Wochen fallen ihm vor Kälte die Fingernägel ab. Sein Kollege beendet seine Bemühungen schnell wieder. "Er hat das kalte Wetter nicht gemocht", betont Boit. Er hingegen bleibt dabei.

Schon 1998 in Nagano tritt er als erster Kenianer bei Olympischen Winterspielen an und wird mit einem Moment zum Star. Über zehn Kilometer ist Boit der mit Abstand langsamste Läufer. Olympiasieger wird Björn Daehlie aus Norwegen. Daehlie kommt zu spät zu seiner eigenen Siegerehrung, weil er zunächst noch Boit im Ziel empfangen möchte. Die Bilder der sportlichen Geste gehen um die Welt und sind der Beginn einer langen Freundschaft. Später wird Boit sogar seinen Sohn nach Daehlie benennen.

Boit ist ehrgeizig. Unterstützt vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und Sponsoren verbringt er immer wieder Monate fernab der Familie in Finnland oder Norwegen, ansonsten hält er sich zu Hause in Eldoret fit. Das Training zahlt sich aus. Bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City lässt er sowohl im Sprint als auch über zehn Kilometer mehrere Läufer hinter sich. Auch 2006 in Turin nimmt er teil, wird 91. von 96 gezeiteten Athleten über 15 Kilometer. Vor allem in Salt Lake City erfährt er viel Zuspruch. Bei Vorträgen rund um die Spiele verdient er sogar genügend Geld, um zu Hause ein kleines Lebensmittelgeschäft zu eröffnen.

2010 sollen in Vancouver Boits vierte und letzte Spiele folgen. Doch der Internationale Ski-Verband (FIS) hebt den Qualifikationsstandard für das 15-Kilometer-Rennen massiv an. Boit arbeitet sich trotz Visum-Problemen, Krankheiten und langer Reisen zwischen der Heimat und dem Trainingsstandort in Finnland im Ranking nach vorne. Schließlich fehlen noch zwei Punkte zur Qualifikation. Ein Eilantrag des Kenianischen Olympischen Komitees scheitert, der Traum platzt.

Boits Karriere soll nun bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 2011 in Oslo enden. Die Vorbereitung erweist sich als schwer, die finanzielle Unterstützung des IOC endete mit Olympia 2010. Der Kenianer hält sich zunächst daheim fit, erst nach einem Bericht der norwegischen Zeitung "Aftenposten" ermöglichen ihm Verantwortliche eines Skiklubs die unentgeltliche Vorbereitung vor Ort.

Letztlich kommt sogar genug Geld zusammen, um die Familie nach Oslo einzufliegen. Als Boit in der Qualifikation zum 15-Kilometer-Rennen erwartungsgemäß scheitert, wird er von begeisterten Anfeuerungsrufen begleitet, der Stadionsprecher nennt ihn den "fliegenden Kenianer". Im Ziel erwarten ihn seine Frau, seine vier Kinder und wie 1998 Björn Daehlie.

Mit Boits Karriereende endet zunächst die Geschichte des kenianischen Wintersports - bis 2016. Bei den Olympischen Jugend-Winterspielen in Lillehammer tritt in Sabrina Simader eine Kenianerin im Ski Alpin an und sammelt beachtliche Platzierungen unter den besten 30. Anders als Boit, der in Lillehammer das kenianische "Team" betreut, ist sie jedoch in einer Ski-Nation aufgewachsen. Bereits mit drei Jahren wanderte ihre Mutter mit ihr nach Österreich aus. Den großen Traum hat sie sich erfüllt: Die 19-Jährige wird bei den Spielen im Februar in Pyeongchang dabeisein.

 Sabrina Simader startet 2018 in Pyeongchang.

Sabrina Simader startet 2018 in Pyeongchang.

Foto: afp

Fernab in Kenia liegen die Hoffnungen hingegen allein auf der Familie Boit. Schon 2009 berichtete der stolze Vater von den ersten Versuchen seines Sohnes Daehlie: "Mein Junge wäre ein richtig guter Skiläufer. Mit den Rollerski kann er schon Dinge, die ich nicht kann - zum Beispiel springen." Wie es aktuell um die Karriere des Sohnes steht, ist indes unbekannt. Unsere Redaktion erreicht Boit zwar, aber bei der Farmarbeit, denn in Kenia ist derzeit Maisernte. Und der Wintersport gedanklich weit weg.

(mlat)
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