Wimbledon, 7. Juli 1991 Als über Stich nur noch der Himmel war

London · Vor genau 25 Jahren, am 7. Juli 1991, erlebte das deutsche Tennis auf seinem Höhepunkt ein gewaltiges Erdbeben. Der allenfalls respektierte Michael Stich schlug den von allen heißgeliebten Boris Becker ausgerechnet im Wimbledon-Finale.

 Michael Stich ist noch heute ein gern gesehener Gast in Wimbledon.

Michael Stich ist noch heute ein gern gesehener Gast in Wimbledon.

Foto: dpa, ed

Michael Stich sank fassungslos in die Knie, unter ihm der heilige Rasen von Wimbledon, über ihm nur noch der Himmel. Vor einem Vierteljahrhundert, am 7. Juli 1991, musste selbst der Gigant Boris Becker, ein ungläubiges Staunen im Gesicht, in seinem eigenen Wohnzimmer ein wenig zur Seite rücken. Verlassen hat er es nie, auch nicht nach jener entehrenden 4:6, 6:7 (4:7), 4:6-Niederlage gegen den ungeliebten "Spieler Stich" im Finale der Championships.

Einer auf dem ausverkauften Center Court konnte das Erdbeben im deutschen Tennis seinerzeit so gar nicht einordnen. "Game, Set, Match Becker", sprach Schiedsrichter John Bryson, und dieser Irrtum sollte Sinnbild für Stichs Karriere bleiben. Sogar auf dem allerhöchsten Gipfel seiner Karriere stand das reservierte und stets unterkühlte Nordlicht aus Elmshorn im Schatten der Volks-Ikone Boris Becker. Der "17-jährigste Leimener aller Zeiten" riss die Zuschauer an den Bildschirmen und der Church Road selbst in der Stunde seiner bittersten Niederlage von den Sitzen und auf seine Seite. Stich bekam höflichen Applaus.

"Wimbledon-Finale, und ich spiele mein schlechtestes Tennis", greinte Becker überdeutlich hörbar. Weinerlich flehte der dreimalige Champion den Ball an: "Rüber, rüber!" Es half alles nicht. Mit gnadenloser Effektivität konterte Stich jeden Angriff und zeigte in seinem ersten Grand-Slam-Finale nicht den Hauch von Nervosität. Bewundernswert, wie der damals 22-Jährige returnierte, sich elegant an der Grundlinie bewegte und der einzigartigen Atmosphäre unter den Augen von Prinzessin Diana trotzte.

Auf der anderen Seite hechtete Becker wie gewohnt nach aussichtslosen Bällen, kam jedoch ein ums andere Mal zu spät und zerschellte schließlich am Eisblock Stich. Die Verzweiflung stand ihm Minuten nach der Siegerehrung im ersten Interview am Rande des Center Courts ins Gesicht geschrieben. "Ein Match zu viel" sei das Finale gewesen, stammelte Becker ins Mikrofon des englischen Fernsehens, während Stich ungerührt und geduldig im Hintergrund auf seinen Auftritt wartete.

Stich bot anschließend in makellosem Englisch eine gestochen scharfe Analyse des historischen Matches, er wirkte ruhig und sachlich, und das im Moment seines größten sportlichen Erfolgs. Die weiblichen Fans im All England Club hätten vor Bewunderung ihre aufwendig drapierten Hüte ziehen müssen, doch anstelle begeisterter Jubelstürme war eher gemurmeltes Mitleid für den jammernden Verlierer zu vernehmen.

Daran störte sich Stich damals wie heute nicht, so wie er sich zumindest öffentlich auch Jahre nach dem Wimbledonsieg nie an seinem Status als klare Nummer zwei hinter Volkstribun Becker störte. Er genoss still seinen Triumph, war beim anschließenden Championsdinner an der Seite von Steffi Graf "schon ziemlich müde" und hat die Videoaufzeichnung seines Vaters Detlef, der den Camcorder stur auf die Zeremonie unten auf dem Rasen gerichtet hatte, nie gesehen.

Dieser weltberühmte Rasen, der am Ende der zwei Turnierwochen alles andere als grün ist, lockt Michael Stich aber auch heute noch Jahr für Jahr nach Wimbledon, "um ihn wenigstens einmal zu streicheln". Ansonsten, sagte er dem SID, sei er "niemand, der in der Vergangenheit lebt. Ich muss das Vergangene nicht immer wieder rausholen und hochhalten, obwohl ich den 7. Juli 1991 nicht missen möchte." An seine Gefühle von damals kann Stich sich beim besten Willen nicht mehr erinnern: "Die sind im Augenblick geblieben."

(sid)
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