Tennis-Ikonen im Vergleich Williams gegen Graf — Power vs Stil

New York/Düsseldorf · Serena Williams braucht nur noch zwei Siege, um mit Steffi Graf bei der Anzahl der gewonnenen Grand-Slam-Turniere gleichzuziehen. Damit liegt ein Vergleich der beiden Ausnahmespielerinnen nahe. Dieser zeigt: Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein.

Die Grand-Slam-Rekord-Siegerinnen
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Die Grand-Slam-Rekordsiegerinnen

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  • Die Schläge

Fangen wir mit dem offensichtlichsten Aspekt an: den Schlägen. Bei Williams ist die Ausgangslage denkbar einfach. Die US-Amerikanerin besitzt sowohl mit der Vor- als auch Rückhand ungemein druckvolle und präzise Grundschläge. Keiner auf der WTA-Tour kann diesbezüglich mithalten, zusammen mit ihrem Aufschlag sind sie Williams größte Stärke. Allerdings hat sie auch deutliche Defizite in allen anderen Bereichen: Volleys umgeht sie größtenteils, einen Slice sieht man nur in Ausnahmefällen.

Graf dominierte zwar auch ihre Gegnerinnen, allerdings in einer ganz anderen Art und Weise wie die US-Amerikanerin. Sie hatte für die damaligen Verhältnisse eine ähnlich gute Vorhand — mit einer damals typischen Ausholbewegung und wenig Topspin. Den größten Unterschied gibt es aber auf der Rückhand: Graf spielte fast ausnahmslos Slice, nur in Notsitutionen (und dann auch nur bedingt) zog sie durch. Volleys spielte sie klassisch, der Aufschlag war größtenteils Mittel zum Zweck.

  1. Die Taktik

Von der Grundlinie oder gar aus dem Feld das Spiel mit gnadenlos kraftvollen Grundschlägen dominieren — vom ersten Punkt an. So einfach lässt sich Williams' Marschroute beschreiben. Sie muss sich nicht auf ihre Gegnerinnen einstellen — ihre Konkurrenz braucht einen Schlachtplan, um die US-Amerikanerin aus der Wohlfühlzone zu bringen. Der Weg nach vorne wird nur gesucht, um den tödlichen Stich zu versetzen.

Grafs Spiel war facettenreicher. Das musste es aber aufgrund der defensiven Rückhand auch sein. Mit dem Slice versuchte sie sich ihre Konkurrentin zurechtzulegen: So bekommt man nach einem Longline-Slice auf der Rückhand naturgemäß einen Crossball auf die Vorhand zurück — und so weiter. Eben solche Situationen nutzte die Deutsche, um mit der Vorhand das Spiel zu dominieren. Sie suchte schon deutlich früher den Weg ans Netz, als Offensivspielerin konnte man sie aber nicht bezeichnen. Sie konterte auch stark aus der Defensive.

  1. Athletik

Das Konzept von Williams' Vater, der sowohl Serena als auch Venus trainiert hatte, ist klar: Über Kraft kommt der Erfolg. Ganz schwarz und weiß kann man es bei ihr nicht sehen, dennoch: Das Muskelpaket Williams hat naturgemäße Schwachstellen. Bekommt man sie nicht ins Laufen, hat man es schwer. Muss die 1,75 Meter große und 70 Kilogramm schwere US-Amerikanerin explosive Bewegungen machen, ist die Gegnerin im Vorteil.

Anders bei Graf, die schlichtweg topfit war — ohne die heutzutage nötige Power. Ihre Beinarbeit war nahezu perfekt, sie war flink und zugleich konnte sie ihre Spielerinnen dominieren. Wenn Williams als Powerfrau bezeichnet werden kann, war Graf die ausgewogene Spielerin.

  1. Präsenz

Immer aufrecht, immer zügig unterwegs: Graf fiel nicht großartig aufgrund ihrer Präsenz auf dem Platz auf. Eine positive Ausstrahlung hatte sie — ganz im Gegensatz zu Williams: Die 33-Jährige schlurft zumeist über den Platz, sie wirkt geradezu desinteressiert. Ihr ehemaliger Hitting-Partner Sascha Bajin, nun bei Victoria Azarenka unter Vertrag, sagte zu Williams: "Sie ist ein absoluter Profi in 'winning ugly'." Bei einem gewonnen Punkt meckert sie schonmal über ihr schwaches Spiel, bei engen Spielständen wird sie auch richtig laut — das alles ist Kalkül. Fakt ist: sie ist erfolgreich.

  1. Siege

Kommen wir zu den nackten Zahlen. Da hat Graf noch die Nase vorn: Von ihren 1015 Profispielen gewann die Deutsche sagenhafte 900 Partien (88,7 Prozent). Williams kommt "nur" auf 85,7 Prozent (732 von 854). Bei den Grand-Slam-Titeln hinkt die US-Amerikanerin nur noch ganz knapp hinterher, die 22 Erfolge von Graf wird sie aber aller Voraussicht nach bei den diesjährigen US Open vollmachen. Dann gäbe es nur noch eine Spielerin, die mehr Titel gesammelt hat: Margaret Smith Court hat 24 Grand-Slam-Erfolge vorzuweisen.

Zurück ins Hier und Jetzt: Mit dem Triumph bei den US Open 2015 hätte Williams als vierte Spielerin überhaupt alle vier großen Turniere innerhalb eines Jahres gewonnen ("Grand Slam"). An Graf kommte sie damit aber auch nicht heran — die Deutsche sicherte sich 1988 den "Golden Slam", sie gewann sogar noch die Goldmedaille bei Olympia. Die beiden Spielerinnen haben 1999 noch gegeneinander gespielt. Im letzten Karrierejahr Grafs trafen sie zwei Mal aufeinander, auch da war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Die Bilanz ist ausgeglichen.

(cfk)
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