Boris Becker über die French Open "Angie sollte die Zeit an der Spitze genießen"

Tennis-Legende Boris Becker schätzt vor den French Open die Chancen für Angelique Kerber und Alexander Zverev ein, spricht über den Druck, die Nummer eins zu sein und erklärt, wer seine Favoriten für Roland Garros sind.

Boris Becker – Tennis-Legende und Erfolgscoach
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Die French Open stehen vor der Tür - und Angelique Kerber sucht weiter nach ihrer Form. Welchen Rat würden Sie der Weltranglistenersten mit auf den Weg geben?

Boris Becker (49/Tennis-Ikone und Eurosport-Experte): "Die Tatsache, dass sie auf Sand nicht so gut spielt, hat sich letztes Jahr schon gezeigt. Der Unterschied zur vergangenen Saison ist, dass sie 2017 schon bei den Australian Open und auch bei den darauf folgenden Hartplatzturnieren nicht so stark gespielt hat. Das macht Angie unsicher und nervös. Nummer eins zu werden, das ist sehr schwer - Nummer eins zu bleiben, ist doppelt schwer. Das erfährt sie jetzt auch."

Zuletzt verlor Kerber als Topgesetzte ihr Auftaktmatch in Rom mit 4:6, 0:6 gegen die lettische Qualifikantin Anett Kontaveit. Glauben Sie, der Druck als Nummer eins lähmt sie?

Becker In der Tat machen mir die teilweise klar verlorenen zweiten Sätze in der jüngsten Vergangenheit Sorgen. Man kann verlieren, aber nicht permanent so deutlich im zweiten Durchgang. Wenn man die Nummer eins ist, sollte das nicht mit Druck verbunden sein, sondern es sollte eine Ehre sein. Vielleicht hat Angie da eine falsche Sichtweise. Sie sollte die Zeit an der Spitze mehr genießen. Kerber steht ja nicht zufällig dort, sondern weil sie die stärkste Spielerin der Welt war - und das über zwölf Monate.

Kerber hat vor ihrem großen Durchbruch schon ein-, zweimal ein paar Tage bei Steffi Graf in Las Vegas verbracht. Glauben Sie, es wäre sinnvoll, sich in einer solch schwierigen Situation wieder einmal Rat bei Graf zu holen?

Becker Wenn sich jemand mit Druck und der Nummer-eins-Bürde auskennt, dann ist es die Gräfin. Steffis Tipps sind immer gut und werden nie alt. Sie weiß, von was sie spricht. Angie sollte sich vielleicht häufiger ein paar Ratschläge bei ihr holen.

Ihr ehemaliger Schützling Novak Djokovic hat zunächst für die French Open Steffi Grafs Ehemann Andre Agassi als Coach verpflichtet. Überrascht Sie diese Konstellation?

Becker Ich finde, es ist eine sehr gute Lösung. Von der Persönlichkeit werden beide gut zusammenpassen. Sie werden nicht nur über Tennis reden, sondern auch über ihre Stiftungen. Das ist Novak und Andre immens wichtig. Auch von der Spielweise passt es: Andre war einer der besten Grundlinienspieler aller Zeiten. Das Image und die ganze Persönlichkeit von Agassi passen sehr gut rein.

Die Zusammenarbeit ist zunächst auf die French Open begrenzt. Kann man in zwei Wochen herausfinden, ob es wirklich passt?

Becker Ich hätte mir gewünscht, Novak hätte die Entscheidung schon vor dem Turnier in Monte Carlo vor ein paar Wochen getroffen. So muss Andre bei einem Grand-Slam-Turnier, das Novak vor einem Jahr gewonnen hat, ins kalte Wasser springen. Das ist riskant. Andererseits lernt man sich kennen, denn bei einem Major herrscht enormer Druck, das schweißt zusammen. Prinzipiell könnte es besser sein, sich bei einem kleineren Turnier kennenzulernen - und nicht beim wichtigsten Event auf Sand.

Wer sind Ihre Favoriten für Roland Garros?

Becker Rafael Nadal und Novak Djokovic - in dieser Reihenfolge. Topfavorit ist Rafa, aber kurz danach kommt schon Novak. Nicht nur, weil seine Leistungskurve zuletzt deutlich nach oben gezeigt hat, sondern, weil er in Paris der Titelverteidiger ist. Das setzt immer ganz außergewöhnliche Kräfte frei, wenn man an die Stätte zurückkehrt, an der man im letzten Jahr einen solchen Triumph gefeiert hat. Da ist man dann noch mal 10 Prozent stärker.

Wie schätzen Sie die Chancen von Alexander Zverev ein, der ja nach seinem ersten Masters-Titel in Rom am vergangenen Sonntag erstmals in den Top Ten steht?

Becker Ich glaube, hinter Nadal und Djokovic gibt es eine Gruppe von Spielern, die zum erweiterten Favoritenkreis gehören, darunter Andy Murray, Dominic Thiem, Stan Wawrinka, aber auch Zverev. Sicher war der Sieg von Zverev in Rom wie ein Durchbruch für ihn, aber er muss weiter Schritt für Schritt denken und als nächstes Etappenziel die zweite Woche bei einem Grand-Slam-Turnier anpeilen.

Für Rafael Nadal geht es um seinen zehnten French-Open-Titel. Ist er unabhängig davon für Sie schon jetzt der beste Sandplatzspieler aller Zeiten?

Becker Um das zu sein, muss er Roland Garros nicht nochmal gewinnen. Es ist sagenhaft, was für einen Leistungssprung Rafael in den letzten sechs Monaten gemacht hat - zu vergleichen mit dem von Roger Federer in dieser Saison.

Die French Open sind auch für Sie persönlich mit vielen Emotionen verbunden. Roland Garros war der einzige der vier Major-Titel, den Sie nicht holen konnten. Was macht dieses Turnier aus - und warum ist es so schwer zu gewinnen?

Becker Ich habe mich mit den French Open angefreundet. Als Spieler habe ich sie nicht gewonnen, aber als Trainer. Also: Ende gut, alles gut. Es ist ein schwieriges Turnier, weil viel vom Wetter abhängt. Novak musste im letzten Jahr wegen des Regens zum Beispiel vier Tage in Folge spielen. Auch die Ansetzung hat eine große Bedeutung: Der Centre Court (Philippe Chatrier, d. Red.) zum Beispiel spielt sich ganz anders als der zweitgrößte Court (Suzanne Lenglen, d. Red.) - das ist wie ein anderes Turnier. Auf Sand gibt es immer sehr viele Favoriten, auf Rasen nicht. In Paris muss einfach alles stimmen, um ins Finale zu kommen.

(sid)
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