Interview mit Michael Stich "Es ist nicht besonders gut ums deutsche Herrentennis bestellt"

Der Wimbledonsieger von 1991 spricht im Interview mit unserer Redaktion über seine Sorgen um den deutschen Herrentennis und erklärt, waum er derzeit keine Mitarbeit beim Deutschen Tennisbund oder als Trainer anstrebt.

 Michael Stich macht sich Sorgen.

Michael Stich macht sich Sorgen.

Foto: dpa, dan jhe nic

Herr Stich, wie oft stehen Sie heute noch auf dem Platz?

Michael Stich Das ist sehr überschaubar. Ich spiele ab und zu mit ein paar Kollegen in Hamburg, mehr ist aber auch zeitlich nicht drin.

Verwundert es Sie, dass ehemalige Tennislegenden wie Sie noch heute enorm populär sind?

Stich Die Menschen schwelgen einfach gerne in Erinnerungen. Nostalgie ist eine feine Sache, man darf dabei nur nicht den Blick nach vorne vergessen. Aber klar, es ist schön, wenn die Leute einen nach wie vor mögen. Ich bin gerne ein Botschafter meiner Sportart.

Schwelgen Sie selbst auch gerne Erinnerungen?

Stich Das geschieht bei mir doch nur recht selten. Ich denke mir jetzt nicht ständig, was ich für ein super Typ gewesen bin. Tennis war ein toller Teil meines Lebens. Aber irgendwann ist alles mal vorbei. Und dann muss man sich neuen Aufgaben stellen.

Würden Sie rückblickend einiges anders machen?

Stich Ein paar Finalniederlagen hätte ich mir gerne erspart. Alles andere würde ich ganz genauso wieder machen. Ich bin mit meinem Leben sehr glücklich, habe den Übergang vom Profi zum normalen Leben ohne Probleme geschafft. Jeden Tag lerne ich dazu. Das Leben ist einfach unheimlich spannend.

Viele Ihrer Mitstreiter von einst arbeiten mittlerweile als Trainer. Könnten Sie sich diesen Job auch vorstellen?

Stich Im Leben sollte man nie etwas ausschließen. Aber die Vorstellung, 20 Wochen im Jahr mit einem Spieler um die Welt zu touren, ist jetzt nicht gerade eine, die mich frohlocken lässt. Also gehen Sie davon aus, dass dieser Fall wohl eher nicht eintreten wird. Ich habe dafür auch zu viele andere Projekte.

Wie würden Sie den Zustand des deutschen Tennis beschreiben?

Stich Als ob man in den vergangenen 15 Jahren eine chronische Grippe hatte. Es ist nicht besonders gut speziell ums deutsche Herrentennis bestellt. Aber das ist ja jetzt auch keine ganz so exklusive Erkenntnis.

Sie selbst wollten Dinge ändern und haben damit geliebäugelt, als Präsident des Deutschen Tennisbundes zu kandidieren. Sie haben aber zurückgezogen, als sich für Ihren Weg keine Mehrheit fand, Können Sie sich vorstellen, einen erneuten Anlauf zu wagen?

Stich Aktuell ist das kein Thema. Auch nicht morgen und übermorgen. Jetzt gebietet es die Fairness, dem gewählten Präsidium die Chance zu geben, seine Vorstellungen umzusetzen. Ich habe meine Vorstellungen. Das ist ja nichts unnatürliches.

In der kommenden Woche startet Wimbledon. Was verbinden Sie mit diesem Turnier?

Stich Gar nicht mal so sehr meinen Sieg. Dadurch bin ich aber Mitglied des Klubs geworden und bin seither fast jedes Jahr auch dort gewesen. Erst jetzt verstehe ich die Tradition und Geschichte. Wimbledon ist viel mehr als ein Tennisturnier.

Wer wird dieses Jahr gewinnen?

Stich Stanislas Wawrinka gehört nach seinem Sieg in Paris sicherlich auch zu den Favoriten in Wimbledon. Aber es gibt eine Reihe von anderen Kandidaten, die gute Chancen haben. Geld würde ich auf den Ausgang jedenfalls nicht setzen.

Sie haben sich sehr stark für die Olympiabewerbung von Hamburg für die Spiele 2024 eingesetzt. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Spiele auch tatsächlich nach Deutschland vergeben werden?

Stich Sehr. Hamburg hat eine starke Bewerbung. Die Stadt hätte diese Spiele einfach verdient. Es liegt jetzt an uns, Überzeugungsarbeit zu leisten. Das gilt auch für die Kritiker. Wir wollen mit starken Argumenten auf die Skeptiker zu gehen.

Mit Ihnen als offizieller Olympia-Botschafter?

Stich Von mir aus, ja - ich würde mich sehr, sehr gerne einbringen. Jetzt müssen die Gremien auf mich zukommen.

Seit Jahren engagieren Sie sich intensiv im sozialen Bereich. Was ist Ihr aktuelles Projekt?

Stich Seit mehr als 20 Jahren kümmert sich meine Stiftung um HIV-infizierte und -betroffene Kinder. Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas zu tun. In Hamburg finanzieren wir unter anderem ein Schulprojekt, bei dem es vor allem um Aufklärung geht. Wir arbeiten mittlerweile mit 130 Schulen zusammen. Es gibt noch unglaublich viel Arbeit und zu viele Vorurteile. Demnächst wollen wir mit dem Projekt auch ins Rheinland kommen. Wir führen bereits Gespräche in Bonn und Köln.

Das Interview führte Gianni Costa

(RP)
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