Finale in Stuttgart Siegemunds märchenhafte Tennis-Reise

Stuttgart/Düsseldorf · Beim Tennisturnier in Stuttgart scheitert die 28-Jährige erst im Finale an der deutschen Spitzenspielerin Kerber. Zuvor schaltete die Spätstarterin, die ihre Karriere eigentlich schon beendet hatte, drei Top-Ten-Spielerinnen aus.

 Amgelique Kerber und Laura Siegemund vor dem Finale.

Amgelique Kerber und Laura Siegemund vor dem Finale.

Foto: dpa, mut nic

Es waren harte neun Tage für Laura Siegemund. Aber auch unglaublich schöne, und das nicht nur, weil sie am Ende einen Scheck über 55.792 Euro in den Händen hielt. Erst im Finale des Tennisturniers in Stuttgart, eines der bedeutendsten im Profizirkus, endete die märchenhafte Reise der 28-Jährigen. "Ich hatte nicht mehr genug entgegenzusetzen", meinte Siegemund fast schon entschuldigend. Angelique Kerber war zu stark für die Überraschungsfinalistin, die mit 4:6, 0:6 verlor. Im ersten Satz hielt sie noch mit, auch im ersten Spiel des zweiten Satzes, der erst nach Siegemunds 17. Service entschieden war. Dann machte ihre Gegnerin aber 16 Punkte in Folge - 0:5. Der Rest war Formsache.

Acht Turniere hat Kerber als Profi gewonnen. Ihr wertvollster Erfolg war jener im Januar bei den Australian Open, dem ersten der vier Grand-Slams eines Kalenderjahres. Noch nie konnte sie ihren Vorjahreserfolg wiederholen - bis jetzt. 104.477 Euro und ein 95.000 teures Auto waren der Lohn. Doch im Mittelpunkt stand die Verliererin. "Es war eine Wahnsinnswoche für mich", sagte die in Metzingen nahe Stuttgart geborene Siegemund und ergänzte: "Doch das ist noch nicht das Ende der langen Reise." Auf dem Weg ins Finale hatte sie drei Spielerinnen aus den Top Ten der Weltrangliste besiegt. Heute wird Siegemund im Computer auf Platz 42 geführt, vor einer Woche war es noch Rang 71.

Erfolge von Außenseiterinnen sind nicht ungewöhnlich. Oft aber reicht die Euphorie nur bis zum nächsten Spiel. Irgendwann kommt dann die Angst vorm Siegen, wird der Tennisschläger ganz schwer in der Hand. "Manchmal ist es gut, dass man gar nicht mehr denkt und in den Automatikmodus schaltet. Dass man den Bauch entscheiden lässt, die Intuition. Das ist besser als jeder große Plan", sagte Siegemund. Ihr erstes "Opfer" in Stuttgart war die Rumänin Simona Halep (Nr. 6 der Weltrangliste), dann erwischte es die Italienerin Roberta Vinci (8) und im Halbfinale die Weltranglisten-Zweite Agnieszka Radwanska (Polen). Sie alle schafften gegen die Deutsche nicht einen Satzgewinn.

Dabei war die Karriere der Schwäbin vor vier Jahren fast schon zu Ende. "Ihre Geschichte ist tatsächlich ein bisschen die eines Wunderkindes, das am Druck und an den Erwartungen scheiterte", sagt Wilfried Lenz, Freund und Physiotherapeut der Tennisspielerin. Mit zwölf gewann sie das weltweit bedeutendste Nachwuchsturnier in Miami (Orange Bowl). Kurz zuvor hatte Steffi Graf ihre außergewöhnliche Karriere beendet. Siegemund wurde als potenzielle Nachfolgerin gefeiert. Doch der Weg verlief nicht geradlinig. 2012 wollte Siegemund, die ihre ersten Jahre in Saudi-Arabien und Indonesien verbrachte, wo ihr Vater Harro als Ingenieur beschäftigt war, aufgeben. "Ich war talentiert, aber habe mich früher zu sehr unter Druck gesetzt. Ich war irgendwie blockiert, weil ich die Siege zu arg wollte", erzählte sie im Rückblick.

Siegemund schrieb sich an der Fernuniversität Hagen in Psychologie ein. Sie meldete sich für den Tennislehrgang an, an dessen Ende sie als Jahrgangsbeste den A-Trainerschein erhielt. Profitennis war weit weg. Sie verdiente sich Geld als Klubtrainerin, spielte nebenbei für den TC Rüppurr aus Karlsruhe in der Bundesliga. Und je lockerer sie das Tennis betrachte, desto mehr kehrte der Spaß zurück. Das Training wurde intensiviert, ohne das Studium zu vernachlässigen. Im Dezember 2015 hatte sie ihren Bachelor in der Tasche. Thema der Abschlussarbeit: "Versagen unter Druck". Die Note: 1,3.

Siegemund bereichert mit ihrer Art des Spiels das Frauentennis. Sie hält sich nicht nur an der Grundlinie auf und drischt die Bälle übers Netz. Lob, Flugball und Rückhandslice gehören zum Repertoire der Schwäbin, die immer wieder mutig den Weg zum Netz sucht. In Wimbledon erreichte sie 2015 erstmals das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers, im Januar in Melbourne stand sie erstmals in Runde drei. "Es war gut, dass ich noch einmal so viel in Tennis investiert habe. Ich weiß jetzt, dass ich hierhin gehöre", sagte die Spätstarterin. Allerdings wird seit dieser Woche niemand mehr Siegemund unterschätzen.

(RP)
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