Ex-Profi Henri Leconte: "Das Tennis braucht mehr bunte Vögel"

Düsseldorf · Der ehemalige Profi und Entertainer über die Zuneigung der Fans, Boris Becker und warum man die Finger von Regeländerungen lassen soll.

Henri Leconte (51) ist mit sich zufrieden. Er war einmal die Nummer 5 der Tennis-Weltrangliste. Er hat mit Frankreich den Davis Cup gewonnen. Für ihn ist es wichtig, seine Erfolge zu betonen. Er will nicht nur als der ewig lustige Franzose in Erinnerung bleiben. Nicht nur, aber auch. Am Freitag und Samstag kommender Woche steht er beim DRK-Charity-Cup im Düsseldorfer Rochusclub mit Ivan Lendl, Michael Stich und Pat Cash auf dem Platz. Ein Gespräch über Vorurteile, Erwartungen und den Hang, die Vergangenheit besser zu machen, als sie war.

Monsieur Leconte, als Kind dachte ich immer, Sie seien komplett verrückt.

Leconte Sie Charmeur!

Hat es Sie gekränkt, dass man Sie manchmal mehr als Clown und weniger als exzellenten Tennisspieler wahrgenommen hat?

Leconte Ich würde mich nicht als Clown bezeichnen. Ein Clown steht in der Manege und macht auf Knopfdruck Witze. Entertainer trifft es besser. Mein Ziel war, die Leute zu unterhalten. Ich bin so, das ist meine Mentalität. Wenn ich auf dem Platz stehe, versuche ich guten Sport zu zeigen - und trotzdem lustig zu sein. Bei aller Bescheidenheit: Mir ist das ganz gut gelungen.

Sie sind jetzt 51 Jahre alt. Warum gehen Sie immer noch raus auf Ihre Bühne?

Leconte Weil mich das Publikum sehen will. Weil ich das Publikum sehen will. Weil ich dieses Gefühl liebe.

Muss man sich nicht Sorgen um den Zustand des Tennis machen, wenn so viele Fans an der Vergangenheit festhalten und sich weniger für die aktuellen Stars interessieren?

Leconte Eine schwierige Geschichte. Sehen Sie, das Spiel hat sich verändert. Die Spieler haben sich verändert. Das Geschäft hat sich verändert. Mit diesem Phänomen hat nicht nur die Tennis-Branche zu kämpfen. In der Formel 1 ist es ähnlich. Heute fahren nicht nur Maschinen im Kreis herum, sondern sie werden von Maschinen gelenkt. Es ist deutlich professioneller geworden. Wenn du in der Spitze mithalten willst, dann darfst du nichts anderes als den Sport im Kopf haben.

Ist das der Grund, warum Sie kein Grand-Slam-Turnier gewonnen haben. Hatten Sie zu viele andere Dinge im Kopf?

Leconte (lacht) Wenn es doch so einfach wäre! Ich bin mit meiner Karriere sehr zufrieden, ich habe mehr erreicht, als viele mir zugetraut haben. In Frankreich bin ich immer kritisch gesehen worden.

1988 waren Sie ganz nah dran. Bei den French Open in Paris standen Sie im Finale - und haben gegen den Schweden Mats Wilander verloren.

Leconte Leider mein schlechtestes Spiel im ganzen Turnier. Ich wäre lieber im Halbfinale ausgeschieden, als ein Finale so zu verlieren. Immerhin haben sich meine Beliebtheitswerte danach in Frankreich ein wenig verbessert. Meine Landsleute konnten lange nicht viel mit mir anfangen. 1991 haben wir gegen die USA den Davis Cup gewonnen. Seitdem mögen mich die meisten Franzosen. In Deutschland bin ich immer geliebt worden. Ich habe mich lange nicht darum geschert, wer was über mich denkt. Mittlerweile mag ich es ganz gerne, wenn alles harmonisch ist. Das kommt wohl durch mein Alter. Aber man kann es auch nicht allen recht machen.

Sie sind der letzte Franzose, der es in Paris ins Endspiel geschafft hat. Ist der Druck für Ihre Nachfolger zu groß?

Leconte Er ist gewaltig. In Frankreich wird noch lieber als in Deutschland über alles und jeden genörgelt. Nichts, aber auch gar nichts ist gut genug. Es ist schwer, Erwartungen zu erfüllen, die überhaupt nicht zu erfüllen sind. Man muss sich davon befreien. Ich glaube, es ist realistischer, dass ein Franzose ein anderes Grand-Slam-Turnier gewinnt als die French Open.

Stefan Edberg, Boris Becker oder Ivan Lendl - viele Ihrer damaligen Gegenspieler arbeiten heute als Trainer. Wäre das nicht auch etwas für Sie?

Leconte Es müsste sich erst jemand finden, der einen noch größeren Knall hat als ich. Warten wir es ab, sicher könnte ich es mir vorstellen.

Womit verdienen Sie Ihr Geld?

Leconte Ich arbeite fürs Fernsehen, spiele auf der Champions Tour mit ehemaligen Tennisgrößen. Es kommt einiges zusammen. Man muss sich um mich keine Sorgen machen.

Hätten Sie Ihrem Freund Boris Becker zugetraut, so erfolgreich als Coach an der Seite von Novak Djokovic zu sein?

Leconte Definitiv. Ich bin so froh für ihn. Boris ist ein toller Typ, ein großartiger Freund. Ich schätze ihn sehr. Es gibt viele Leute, die sind mehr damit beschäftigt, Boris fallen sehen zu wollen, so dass sie nicht mehr mitbekommen,was er leistet. Es ist schade, dass ihn besonders in Deutschland viele so kritisch sehen.

Fehlen dem Tennis heutzutage große Persönlichkeiten?

Leconte Es fehlen auf jeden Fall echte Typen. Aber so etwas muss sich entwickeln. Djokovic, Roger Federer, Rafael Nadal oder Andy Murray haben auch ihre Zeit gebraucht, bis sie zu dem geworden sind, was sie heute sind. Es gibt leider zu viele Spieler, die etwas zu blass sind. Das Tennis braucht ein paar mehr bunte Vögel. Doch man sollte nicht alles schlecht machen. Früher war auch nicht alles besser. Aber vieles. (lacht)

Ist daran nicht das System Tennis schuld? Wer auf dem Platz schimpft, bekommt gleich eine Verwarnung, wer seinen Schläger zertrümmert, wird vom Publikum ausgebuht.

Leconte Du bist noch lange kein Typ, nur weil du auf dem Platz ein wenig rumpöbelst. Oder weil du nach einem schlechten Ballwechsel die Nerven verlierst. Du musst dir diesen Status erarbeiten. In der Regel sind aber alle ja ganz brav. Niemand will auffallen.

Reden wir über das deutsche Herren- Tennis. Gibt es irgendwelche Anzeichen, die Hoffnung auf Besserung geben?

Leconte Ein deutscher Grundfehler ist es, immer alles so düster zu sehen. Ihr habt schon Erfolge, man muss sie nur auch sehen. Es gibt einige talentierte Spieler. Philipp Kohlschreiber zum Beispiel. Er ist kein Boris oder Michael Stich. Aber solche Spieler sind die Ausnahme. Tatsächlich fehlt gerade jemand, der ganz vorne mitspielen kann. Dafür läuft es ja bei den Damen besser. Mir hat Julia Görges in den vergangenen Monaten imponiert. Aber auch Angelique Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki machen einen guten Job. Es fehlt leider nur die Konstanz.

Wer ist für Sie der beste Spieler aller Zeiten?

Leconte Roger Federer. Er ist für mich der kompletteste Spieler. Jede Generation hat ihre Helden. Aber Roger ragt heraus.

Es wird immer wieder darüber diskutiert, ob Tennis nicht fernsehfreundlicher gestaltet werden müsste. Welche Regel würden Sie ändern?

Leconte Was ich mir vorstellen könnte, ist beim Aufschlag den Netzfehler abzuschaffen. Das würde das Spiel schneller machen. Von allem anderen sollte man die Finger lassen. Doch das ist ein frommer Wunsch. Irgendjemand will sich immer wichtig machen. Es macht mich einfach nur traurig und wütend. Weil durch solche Aktionen in der Regel mehr kaputt gemacht wird, als das sich etwas verbessert. Am Ende blickt wie in der Formel 1 keiner mehr durch. Tennis ist ein sehr attraktiver Sport. Er lebt von der Spannung, von der Dramatik.

GIANNI COSTA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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