Prognose von 2013 hält Realität nicht stand Die abgestürzten Tennis-Hoffnungsträger

Düsseldorf · Vor fünf Jahren wagte sich die renommierte französische Sporttageszeitung "L'Equipe" an eine Prognose. Die Tennisexperten des Blattes versuchten vorauszusagen, welche Spieler 2018 in den Top Ten stehen würden. Die Liste zeigt, wie schwierig Langzeitprognosen im Sport sind.

 Bernard Tomic war die Nummer zwei der Junioren-Weltrangliste, doch bei den Erwachsenen erfüllte er die hohen Erwartungen nicht.

Bernard Tomic war die Nummer zwei der Junioren-Weltrangliste, doch bei den Erwachsenen erfüllte er die hohen Erwartungen nicht.

Foto: dpa, sm ss

Die Vorhersage der Zeitung war eine kleine Spielerei, die durchaus gewagt war, denn fünf Jahre sind im Sport eine lange Zeit. Spieler werden von Verletzungen gestoppt, Newcomer tauchen plötzlich fast aus dem Nichts auf und Spätzünder finden auf einmal zu einer Stärke, die ihnen niemand zugetraut hatte. Der Sender Eurosport zeigte damals die Liste während der French Open seinen Zuschauern - und seitdem macht ein Screenshot der Grafik regelmäßig in den sozialen Netzwerken die Runde (häufig geht der Spott fälschlicherweise zulasten des TV-Senders). Von den zehn Spielern, denen die französische Zeitung 2018 den Sprung in die ersten zehn der Weltrangliste zugetraut hatte, stehen zu Beginn des Jahres nur zwei tatsächlich in den Top Ten.

So fehlten die ersten zwei der aktuellen Weltrangliste, Rafael Nadal und Roger Federer, in der Liste von 2013 - offenbar hatte die "L'Equipe" den beiden Superstars eine solche Langlebigkeit nicht zugetraut. Youngster wie den Deutschen Alexander Zverev (Nr. 4) oder den Österreicher Dominic Thiem (Nr. 5) hatten die Franzosen verständlicherweise ebenfalls nicht auf dem Zettel - beiden spielten damals auf der ATP-Tour noch keine Rolle.

Lange belächelt wurden die Journalisten für die Vorhersage, dass der Bulgare Grigor Dimitrow 2018 auf Platz eins stehen würde. Dank einer starken vergangenen Saison hat sich Dimitrow mittlerweile aber immerhin auf Platz drei vorgearbeitet und damit unter Beweis gestellt, dass er die hohen Erwartungen zumindest im Ansatz erfüllen kann. Das sieht bei einigen anderen hochgehandelten Profis ganz anders aus. Wo lagen die Experten der "L'Equipe" richtig und wo falsch? Wir haben den Check gemacht.

1. Grigor Dimitrow (Bulgarien) Dimitrow wurde wegen seiner eleganten Spielweise schon in jungen Jahren mit Federer verglichen. Die hohen Erwartungen wurden zur Last für den Frauenschwarm, der lange vor allem als (Ex-)Freund von Maria Scharapowa Schlagzeilen schrieb. 2017 startete der mittlerweile 26-Jährige aber richtig durch und gewann zum Jahresabschluss die ATP Finals in London, die inoffizielle Weltmeisterschaft. Sein erster großer Titel, der ihn bis auf Platz drei katapultierte.

2. Benoît Paire (Frankreich) Da war die Brille der Franzosen wohl etwas zu blau-weiß-rosarot. Paire hat Talent und einen hohen Unterhaltungsfaktor, keine Frage. Doch der Franzose ist auch für seine Disziplinlosigkeiten und mangelnde Konstanz bekannt. Geniestreiche wechseln sich regelmäßig mit fast schon als bizarr zu bezeichnenden Auftritten ab, bei denen Paire komplett lustlos wirkt. Aktuell ist er die Nummer 41, als beste Weltranglistenposition hat er Platz 18 vorzuweisen.

3. Andy Murray (Großbritannien) Beim Schotten war einfach Pech im Spiel. Position drei ist durchaus eine realistische Einschätzung, noch vor einem Jahr war Murray sogar die Nummer eins. Dann bremste ihn aber eine Hüftverletzung aus, die ihn nun schon seit Monaten außer Gefecht setzt. Murray, der seit Wimbledon 2017 nicht mehr spielen konnte und deshalb auf Position 16 zurückgefallen ist, droht sogar eine Operation. Auch bei den Australian Open fehlt er verletzungsbedingt.

4. Milos Raonic (Kanada) Der Aufschlagriese war schon mal die Nummer drei der Welt, doch auch er hat immer wieder mit Verletzungen zu tun. Derzeit liegt er auf Platz 24. Wenn sein Körper mitspielt, ist ihm aber ohne Weiteres wieder der Sprung in die Top Ten zuzutrauen.

5. Novak Djokovic (Serbien) Für ihn gilt dasselbe wie für Murray. Auch er ist nur wegen einer langwierigen Ellbogenverletzung aus den ersten zehn gefallen (Platz zwölf). Noch immer macht dem Familienvater der Schlagarm zu schaffen. Hätte es diese Verletzung nicht gegeben, wäre die Prognose der "L'Equipe" eher zu pessimistisch ausgefallen, schließlich war Djokovic bis zum vergangenen Sommer noch die Nummer zwei, davor lange der absolute Dominator. Nun steht er sogar noch schlechter da als vorausgesagt. Das zeigt, wie unberechenbar der Sport ist.

6. Kei Nishikori (Japan) Der Japaner war schon die Nummer vier der Welt, obwohl er immer wieder vom Verletzungspech gebeutelt war. Im August musste er die Saison 2017 wegen einer Handgelenksverletzung vorzeitig abbrechen. Zu diesem Zeitpunkt lag er auf Platz neun, mittlerweile ist er nur noch die Nummer 22. Wie Murray und Djokovic läuft auch sein Comeback nicht nach Plan, Nishikori musste seine Teilnahme an den ersten Turnieren des Jahres absagen, auch in Melbourne fällt er verletzt aus.

7. Bernard Tomic (Australien) Mit Tomic beginnt für "L'Equipe" die Liste des Grauens, denn drei Spieler, denen die Zeitung Großes zugetraut hatte, stehen aktuell nicht mal in den Top 100. Tomic gilt als großes Talent, aber auch als trainingsfaul. Im vergangenen Jahr gab er ganz offen zu, nur wegen des Geldes zu spielen und derzeit nicht besonders motiviert zu sein. Eine Schlägerfirma kündigte daraufhin den Ausrüstervertrag mit Tomic. Bis heute ist Tomic der jüngste Spieler, der je ein Match bei den Australian Open gewinnen konnte. 16 war er, als er 2009 in Melbourne Potito Starace aus Italien besiegte. Tomic galt als zukünftige Nummer eins, doch zu mehr als Platz 17 reichte es nie. Aktuell ist er die Nummer 140. Für die Australian Open hat er in diesem Jahr keine Wildcard bekommen und muss in die Qualifikation. Vielleicht bekommt er mit seinen 25 Jahren ja noch mal die Kurve.

8. Ernests Gulbis (Lettland) Der Lette, berühmt und berüchtigt für seine großen Formschwankungen, hatte irgendwie einfach ein schlechtes Timing. Denn die Top Ten knackte er bereits ein Jahr, nachdem die "L'Equipe" ihre ominöse Liste veröffentlicht hatte. 2014 erreichte er bei den French Open das Halbfinale, schlug auf dem Weg dahin den großen Federer. "Nun bin ich süchtig nach Erfolg", sagte der frühere Schützling von Niki Pilic, der in jungen Jahren gerne mal das Training schwänzte. Doch Gulbis ging nach seinem "Frühstart" schnell wieder die Luft aus. Er erlebte, auch wegen einiger Verletzungssorgen, einen brachialen Absturz bis auf Platz 576. Derzeit ist er die Nummer 199 und damit der am schlechtesten platzierte Spieler der Liste. Folgt mit seinen 29 Jahren der nächste Looping auf der Karriere-Achterbahn? Bei Gulbis unmöglich vorherzusagen.

9. Jerzy Janowicz (Polen) Wie Tomic und Gulbis ein Spieler mit viel Potenzial, aber ähnlich unberechenbar. 2013 spielte er sich in Wimbledon sensationell ins Halbfinale vor, schaffte es im Anschluss bis auf Platz 14 im Ranking. Die "L'Equipe" schien sich früh bestätigt zu sehen. Doch auch "JJ" konnte die Form nicht halten. Seit Jahren kämpft er um den Anschluss, hat zudem schon mehrere Knie-Operationen hinter sich. Aktuell nur die Nummer 123 und schon wieder verletzt.

10. Jack Sock (USA) Dieser Tipp war vor fünf Jahren durchaus gewagt, schließlich war Sock zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Liste nur die Nummer 118 der Welt. Doch bei dem Amerikaner bewies "L'Equipe" den richtige Riecher. Sock gewann 2017 überraschend das Masters in Paris-Bercy, qualifizierte sich so auf den letzten Drücker noch für die ATP Finals. Somit ist er neben Dimitrow der einzige Spieler aus der Prognose, der aktuell tatsächlich in den Top Ten steht (Nr. 8).

(areh)
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