Frankreich-Rundfahrt Düsseldorf fährt bei der Tour mit

La Manche · Die Frankreich-Rundfahrt wird am Start in der Normandie gefeiert wie Straßenkarneval. Der Grand Depart 2017 in der NRW-Landeshauptstadt ist aber jetzt schon präsent, auch weil ein deutscher Radrennstall von sich reden macht.

 Die Radprofis vor der Kulisse des Klosters Mont-Saint-Michel.

Die Radprofis vor der Kulisse des Klosters Mont-Saint-Michel.

Foto: ap

Den Franzosen sagt man gerne nach, außergewöhnlich leidenschaftlich ihre Landesfarben anschmachten zu können. Sie sind stolz auf die Trikolore, ihre Lebensart und Geschichte. Wer derzeit aber durch eines der Hafenstädtchen entlang der Atlantik-Küste spaziert, der kann den Eindruck gewinnen, dass die Menschen es hier in der Normandie besonders weit treiben. Sie sind stolz auf ihr schroffes Land, ihre Dörfer, die wie zufällig über einer Karte ausgeschüttet zu sein scheinen, ja sogar auf den Geruch des Meeres und jede einzelne Auster, die sie daraus fischen.

"Und auf die Tour", sagt Marie. Die 24-Jährige arbeitet in einer Bar in Granville. In die Hotels der Umgebung haben sich einige Delegationen der Tour de France eingebucht. Ob sie gerne Radrennen guckt? Die Kellnerin schüttelt den Kopf. "Eigentlich noch nie. Aber die Bilder heute im Fernsehen waren unglaublich." Bilder von ihrer Küste eben: Schroffes Land, Dörfer und ganz viel Geschichte.

Den Grand Depart, also den Auftakt der 103. Tour de France, haben die Organisatoren in der Region La Manche gefeiert. 518.000 Menschen leben dort. Bekannt ist die Gegend unter anderem für ihre Schafe: 100 wurden vor der Tour in den Farben der Team-Trikots angesprüht, einige Tierschützer tobten. Vor allem aber ist man hier stolz auf die eigene Geschichte, die jährlich Millionen Besucher anzieht. Das Kloster Mont-Saint-Michel, das aus dem Atlantik zu wachsen scheint, ist das zweitmeist besuchte Bauwerk Frankreichs. Am Utah Beach begannen die Alliierten die Befreiung des europäischen Festlands. An diesem Wochenende weht neben den Flaggen Englands, Frankreichs, der USA und Kanadas auch wieder eine in schwarz-rot-gold über den Dünen. Das erste Mal, heißt es. Der Start der Tour de France ist derart historisch aufgeladen, dass man Angst bekommen könnte, zu fragen: Wird hier eigentlich auch Sport getrieben?

Die Antwort: Ja, auch. Denn die Tour, und der Grand Depart im Besonderen, ist über das Radrennen längst hinausgewachsen. "Wir haben mehr als eine halbe Million Menschen am ersten Tag zu Besuch, über das Wochenende verteilt werden es wohl über über eine Million sein", sagt Paul-Vincent Marchand, der für den Grand Depart verantwortlich ist. Offiziell belaufen sich die Kosten auf rund fünf Millionen Euro, dazu kommen noch zwei Millionen an Nebenkosten. "Das ist aber nichts im Vergleich zur touristischen Wirkung, die wir erzielen", sagt er.

Obwohl die Fahrer erst am späten Nachmittag auf der Zielgeraden erwartet werden, drücken sich die Menschen schon am Morgen auf den Bürgersteigen und Parks des kleinen Örtchens Sainte-Marie-du-Mont. Einige haben Grills und Picknickdecken dabei. Zu den Einheimischen gesellen sich auch Fans der Tour, die mit ihren Wohnwagen den Etappen hinterher reisen. Sie erkennt man oft an den Trikots, die sie sich übergestreift haben. "Hier feiern alle ein großes Straßenfest, bis die Fahrer kommen", sagt Marchand. "Und danach bis in den Abend." Alles sieht so kitschig aus, wie es sich anhört. Über den Straßen sind Schnüre gespannt, an denen bunte Trikots baumeln, die Geschäfte haben sich Fahrräder in die Fenster gekritzelt.

Sechs Stunden verbringen die Zuschauer im Schnitt an der Strecke, mehr als die Hälfte sind Familien, immerhin ein Fünftel kommt aus dem Ausland. Für die jüngsten Besucher ist oft nicht das vorbeirasende Hauptfeld der Höhepunkt des Tages. Denn der Tross vor dem Tross hat Ausmaße erreicht, die manchen Straßenkarneval erblassen lassen. Von 170 bunt geschmückten Wagen werden während der Tour-Tage 14 Millionen Süßigkeiten, Spielzeuge und Fanartikel ins Publikum geworfen, davon alleine zwei Millionen Madeleines. Auch der Stadt Düsseldorf ist ein Wagenplatz angeboten worden. Dort hat man aber abgelehnt, wohl aus Kostengründen, wie zu hören ist.

Trotzdem wirft der Grand Depart, der 2017 in der Landeshauptstadt stattfinden soll, schon seine Schatten voraus. Eine Delegation rund um Oberbürgermeister Thomas Geisel ist angereist. Interviews werden geführt, Fototermine vereinbart. Am Abend ist Geisel zum Dinner mit König Albert von Monaco auf einem Dreimaster im Hafen eingeladen. Die beste Werbung aber liefert an diesem Tag eine junge Mannschaft auf der Strecke. Team Bora-Argon 18, das letzte verbliebene deutsche Team der Tour, gibt auf den ersten Kilometern überraschend Gas. Die Mannschaft nimmt nur über eine Wildcard am Rennen teil, will sich beweisen - und fährt Düsseldorf ins Rampenlicht. Fahrer Paul Voss zieht als erster Fahrer der Tour an, die Kameras halten drauf. Auf seinem Trikot deutlich sichtbar ist die Werbung für den Start der Tour am Rhein. Am Ende gewinnt er die Bergwertung. Die Delegation jubelt. Der Deal, so hört man, soll nichts gekostet haben.

Über die Kosten wiederum wird in der Landeshauptstadt gerade heftig gestritten. Ein Streit, der hier noch weiter weg wirkt, als er es geografisch eh schon ist. "Ich habe schon viele Sportveranstaltungen gesehen, auch beim Marathon in Großstädten", sagt Thomas Geisel, "aber so eine Stimmung habe ich noch nie erlebt." Das gilt wohl auch für den logistischen Aufwand, der betrieben wird. Allein die Technik, die jeden Tag auf- und abgebaut werden muss, belegt eine Fläche von zehn Fußballfeldern, 30 Kilometer Kabel werden verlegt und wieder eingerollt. Dazu kommt das Village, eine Art Radsport-Disneyland für geladene Gäste, und nicht zuletzt das Pressezentrum mit 4000 Plätzen. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch nächstes Jahr ein großes Sportfest erleben", sagt Geisel. Bis dahin hoffen alle, dass Negativmeldungen ausbleiben. Dass dies eine saubere Tour wird - und eine sichere.

Am Abend läuft in der Bar in Granville ein Zusammenschnitt des Schlusssprints. 800 Meter vor der Ziellinie kommt es zu einem schweren Sturz, am Ende siegt der Brite Marc Cavendish vor Marcel Kittel. Andre Greipel wird Vierter.

(lukra)
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