Tony Martin bei der Tour Alle Augen auf diesen Mann

Düsseldorf · Wenn heute in Düsseldorf die Tour de France startet, steht Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin im Fokus. Der Cottbuser gilt am ersten Wettkampftag als Favorit aufs Gelbe Trikot des Gesamtführenden.

Tony Martin im Porträt
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Das ist Tony Martin

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Die Frage, was er denn vom Gesamtverlauf der 104. Tour de France erwarte, beantwortet Tony Martin knapp: "Gar nix!" Martin ist es völlig egal, wer am 23. Juli auf den Champs-Élysées in Paris die Siegertrikots trägt. Martin reduziert seine Tour auf nur einen Tag. Den ersten Tag. Heute. Der Prolog, das Einzelzeitfahren in Düsseldorf, ist das Einzige, was zählt. Ein Deutscher, der in Deutschland das Gelbe Trikot des prestigeträchtigsten Radrennens der Welt überstreift. Diesen Traum will der 32-Jährige vor allem sich erfüllen - aber auch dem Publikum.

Bei der Teampräsentation am Donnerstag bekam Martin einen Vorgeschmack auf das, was ihn heute in der Landeshauptstadt erwarten wird. "Ich war schon baff", sagt der Fahrer von Katusha-Alpecin. "Dass die Leute auch gerade mich speziell hier so anfeuern, habe ich so noch nicht erlebt." Wer daraus aber einen besonders hohen Druck ableiten will, erntet von Martin nur ein selbstgefälliges Grinsen. Der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele 2012 will davon nichts wissen, verweist viel lieber auf seine Erfolge, die ja ebenfalls unter Druck entstanden seien. Sein letzter internationaler Titel ist dabei bestes Beispiel für die Rolle des Favoriten in Düsseldorf. Im Oktober 2016 wurde der Cottbuser zum vierten Mal Weltmeister im Einzelzeitfahren. Bei sengender Hitze in Katar deklassierte Martin die Konkurrenz.

40 Grad im Schatten wird es heute aber sicher nicht geben. Im Gegenteil: Der Wetterbericht sagt 17 Grad und Regen voraus. Alles andere als eine Wunschvorstellung der Fahrer im Kampf gegen die Uhr. "Hauptsache, alle haben dieselben Bedingungen", sagt der Wahlschweizer. Mit bis zu 550 Watt wird Martin auf 14 Kilometern topfebener Strecke in die Pedale treten. Die Spitzenfahrer werden Zeiten unter 16 Minuten abliefern. Kein Vergleich zu den einstündigen Zeitfahren bei Weltmeisterschaften. Es heißt: Vollgas statt Taktieren.

"Der Kurs liegt mir. Bisher konnte ich etwa 90 Prozent der Strecke abfahren, allerdings nur im Verkehr", erklärt Martin, der für seinen Tag des Jahres zuversichtlich ist: "Ich bin total entspannt." Freundin Nina und die gemeinsame Tochter sind mit in Düsseldorf dabei, lenken den gelernten Polizeimeister nach eigener Aussage perfekt ab. Vor dem ersten Start wird Martin den abgesperrten Kurs heute mehrmals abfahren, ehe er um 18.20 Uhr als einer der letzten Fahrer auf die Strecke geht.

Dass die große Generalprobe zu Monatsbeginn mit einer Enttäuschung endete, wertet Martin nicht als schlechtes Omen. Beim hochkarätig besetzten Critérium du Dauphiné war der Australier Richie Porte über 23,5 Kilometer zwölf Sekunden schneller. Porte schielt bei der Tour aber mehr auf den Gesamtsieg als auf den Triumph in Düsseldorf. Deshalb nennt Martin eher den ehemaligen Skispringer Primoz Roglic (Slowenien), den Schweizer Stefan Küng oder den Niederländer Jos van Emden als Hauptkonkurrenten. Aufgrund der Kürze der Strecke hat Martin auch Peter Sagan (Slowakei) und den Thüringer Marcel Kittel auf der Rechnung.

Martin will sich mit Gegnern aber nicht zu sehr beschäftigen. Für ihn steht fest: Bei ausgeglichenen Bedingungen ist er die Nummer eins. Bei der Tour 2015 durfte Martin bereits ins Gelbe Trikot schlüpfen. "Ich erinnere mich noch ganz genau", sagt er. "Es ist ein sehr erhabenes Gefühl, man ist der Mittelpunkt der Radsport-Welt. Es ist mit nichts anderem in diesem Sport zu vergleichen." Wenn er diese Sätze spricht, sieht man in seinen Augen die Lust, dieses Erlebnis zu wiederholen.

Der erste Deutsche mit dem Gelben Trikot auf deutschem Boden wäre Martin indes nicht. 1977 gastierte die Tour in Freiburg, und 80.000 Zuschauer jubelten einem Frankfurter in Gelb zu: Didi Thurau.

(erer)
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