Kein Gelb bei der Tour Acht Sekunden trennen Martin von seinem Traum

Düsseldorf · Tony Martin hatte alles dem Traum untergeordnet, sich beim Auftakt der Tour de France in Düsseldorf das Gelbe Trikot überstreifen zu dürfen. Doch die Hoffnungen des deutschen Rad-Profis wurden vom Regen weggespült.

Tour de France 2017: Das Einzelzeitfahren in Düsseldorf
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Das Einzelzeitfahren in Düsseldorf

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Foto: afp

Tony Martin sackt in einem Stuhl zusammen. In einem weißen Plastikstuhl, irgendwo am Rande des Düsseldorfer Messegeländes. Kurz zuvor hat er die Ziellinie überquert. Der 32-Jährige hat den Kopf gesenkt, er atmet schwer. Schweiß tropft von seinem Kinn. Dann schaut Martin nach oben und versucht, Erklärungen zu liefern, warum diese verdammten acht Sekunden gefehlt haben, um sich seinen großen Traum zu erfüllen.

Der Radprofi hatte in den vergangenen Monaten sein ganzes Leben auf diesen Moment ausgerichtet, auf diese 14 Kilometer Einzelzeitfahren beim Grand Départ der 104. Tour de France in Düsseldorf. Es sollte die Fahrt ins Gelbe Trikot werden. Was bleibt, ist Platz vier - und der Ärger über etwas, das der Cottbuser nun wirklich nicht beeinflussen konnte: das Wetter. "Es gab viele Geradeausstücke, auf denen man seinen Rhythmus finden kann, das hatte sich mit dem Regen dann erledigt", sagt Martin (Katusha-Alpecin) und schiebt nach: "So ist der Sport."

Je näher die Tour rückte, desto mehr wurden die Vermutungen zur Gewissheit: Samstag, der 1. Juli 2017 in Düsseldorf würde kein klassischer Sommertag mit reichlich Sonnenschein werden. Der amtierende Weltmeister im Einzelzeitfahren hatte vor dem Rennen große Befürchtungen geäußert, dass ihm eine regennasse Strecke einen Strich durch seine Sieger-Rechnung machen könnte. Die Vorahnung sollte sich bewahrheiten.

Der Waliser Geraint Thomas (Team Sky) überquerte die Ziellinie am Rheinufer nach 16:04 Minuten. Sein Teamkollege Vasili Kiryienka (Weißrussland) war sieben Sekunden langsamer, dazwischen platzierte sich noch der Schweizer Geheimfavorit Stefan Küng (BMC Racing Team). Alle Fahrer hatten mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen. Einige stürzten. Während Tour-Debütant Rick Zabel (Katusha-Alpecin) noch glimpflich davon kam und sich wieder aufrappelte, war die Tour für Alejandro Valverde (Movistar) nach wenigen Kilometern beendet. Er krachte in ein Absperrgitter und wurde ins Krankenhaus gebracht. Die Diagnose: Bruch der Kniescheibe.

Körperliche Schmerzen blieben Martin zwar erspart, seelisch sah das allerdings anders aus. Die Strecke war quasi wie für ihn gemacht: topfeben, lange Geraden. Selbst Radsport-Weltverbandspräsident Brian Cookson hatte seine Objektivität ein bisschen zur Seite gelegt und gesagt: "Ein Heimsieg wäre spektakulär." Auch Martin selbst hatte nach Testfahrten bekannt: "Die Strecke liegt mir." Es war alles bereitet für ein deutsches Rad-Märchen in Düsseldorf.

Tour de France 2017: Alejandro Valverde stürzt auf regennasser Straße
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Valverde stürzt auf regennasser Straße schwer

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Foto: ap, PDJ

"Ich war im Niemandsland"

Doch nun sitzt Martin im weißen Plastikstuhl und wischt sich als geschlagener Mann den Schweiß und die Regentropfen mit einem Handtuch aus dem Gesicht. "Ich bin am Limit gefahren. Aber es hat nicht gereicht", sagt er. Am Publikum lag das nicht. "Es war so laut unterwegs, ich habe den Funk nicht gehört, ich wusste überhaupt nicht was los ist. Ich war im absoluten Niemandsland unterwegs", erklärt er. "Es war eine erstklassige Atmosphäre. Die letzten Tage hier, haben mir sehr viel Spaß gebracht." Ex-Radprofi Fabian Wegmann, als Augenzeuge in Düsseldorf dabei, beschreibt seine Eindrücke: "Es war unglaublich. Die Anspannung der Zuschauer an der Strecke war förmlich greifbar, als er fuhr. Jeder wollte ihn ins Gelbe Trikot hieven." Es sollte nicht reichen.

Beim Grand Départ in Utrecht vor zwei Jahren hatte Martin ähnliche Pläne mit dem Gelben Trikot am ersten Tag. Es misslang ebenfalls. Der Cottbuser holte es sich schließlich am vierten Tag. Als er die Frage gestellt bekommt, ob er auch bei dieser Tour weiter versuchen werde, das Gelbe Trikot anzugreifen, nimmt sich Martin einen Moment Zeit. Dann antwortet er mit einem gequälten "ja, ich werde immer kämpfen. Jetzt muss ich aber erst mal den ersten Tag verdauen".

Es sind andere Voraussetzungen als 2015. Martin hatte vor dem Start immer wieder deutlich gemacht, dass für ihn einzig und allein dieses erste Zeitfahren zähle. Einen Plan B hat er sich nicht zurechtgelegt. Den muss er nun finden.

(erer)
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