Tony Martin Gold in der Wüste

Doha/Düsseldorf · Tony Martin gewinnt bei der Straßenrad-WM in Katar seinen insgesamt vierten Titel im Einzelzeitfahren. Viele Fahrer empfinden Rennen bei bis zu 40 Grad als unverantwortlich. Ein Sportmediziner sagt: Das stimmt nicht grundsätzlich.

Tony Martin im Zeitfahren wieder nicht zu schlagen
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Martin im Zeitfahren wieder nicht zu schlagen

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Foto: dpa, ow moa

Als alles vorbei war, löschte Tony Martin unterm Sonnenschirm mal kurz seine Erinnerungen. "Dass ich jetzt Weltmeister bin, macht alles vergessen", sagte der 31-Jährige, nachdem er seinen vierten WM-Titel im Einzelzeitfahren gewonnen hatte. Vergessen war da sein bis dato enttäuschendes Jahr mit Rang zwölf bei Olympia in Rio als Tiefpunkt. Vergessen war vor allem aber die Hitze, die ihm und den anderen Fahrern in dieser WM-Woche von Katar so zu schaffen macht. Da werde sehenden Auges mit der Gesundheit der Athleten gespielt, lautete der mehrfach aus dem Fahrerlager geäußerte Vorwurf. Auch Martin selbst hatte den Weltverband UCI kritisiert: "Ich denke, es entscheiden andere Kriterien als die Meinung der Fahrer."

Doch der WM-Titel umwehte den Cottbuser nun eben wie eine kühle Brise. Eine Abkühlung, wie es sie zuvor auf dem 40 Kilometer langen Flachkurs durch die Wüste hinein nach Doha nicht gegeben hatte. Windig war es zwar, aber es war eben heißer Wind. Martin, der im Vorfeld der WM daheim vor dem Heizlüfter im Bad trainiert und als erster des deutschen Teams zur Akklimatisierung nach Katar angereist war, kam besser mit den Bedingungen zurecht als alle anderen. Im Ziel deklassierte er die Konkurrenz regelrecht in 44:42,99 Minuten, das entspricht einem Schnitt von 53,671 km/h. Titelverteidiger Wasil Kirijienka (Weißrussland) lag 45 Sekunden zurück, der Spanier Jonathan Castroviejo auf Rang drei schon 1:10 Minuten. "Der Kurs war wie für mich gemacht. Dass ich es so umgesetzt habe, macht mich stolz", sagte Martin. Mit sieben Medaillen ist er nun der erfolgreichste Fahrer in der WM-Zeitfahrgeschichte. Viermal Zeitfahr-Weltmeister wurde außer ihm nur noch der Schweizer Olympiasieger aus dem August, Fabian Cancellara.

Doch bei allem Jubel gilt eben auch für Martin: die größte Schinderei wartet noch. Dann, wenn zum Abschluss der Titelkämpfe am Sonntag das Straßenrennen über 257,5 Kilometer ansteht. Velen Fahrern ist die Distanz in der Gluthitze ein Graus. Martin selbst schlug ein Nachtrennen vor, doch die einzig in Betracht kommende Erleichterung seitens der Veranstalter ist im Zweifelsfall die Verkürzung des Rennens um bis zu 150 Kilometer. "Ob man uns jetzt wirklich bei 35 bis 40 Grad sechs Stunden fahren lassen muss, ist mehr als fragwürdig", monierte Martin.

"Das ist schon extrem", sagt auch Hans-Georg Predel mit Blick aufs Straßenrennen. Der Sportmediziner und Kreislaufforscher der Deutschen Sporthochschule in Köln spricht sich auch für eine Verkürzung der Renndistanz aus. Er sagt aber auch: "Es wird bei der WM jetzt nicht mit dem Leben der Athleten gespielt." Jeder Mensch und so auch jeder Leistungssportler habe bei Hitze seine individuelle Belastungsgrenze, aber "der Mensch ist ein Regulationswunder. Er kann sich in sieben bis zehn Tagen an große Hitze dadurch anpassen, dass er seine Schweißproduktion verdoppelt", sagt Predel. Das kann im Extremfall bis zu zwei Liter Flüssigkeits- und Elektrolyteverlust pro Stunde bedeuten, der natürlich ausgeglichen werden muss. Wichtig sei deswegen bei Belastung in der Hitze eine gute Vorbereitung, insbesondere in Form einer rechtzeitigen Akklimatisierung sowie eine gute Betreuung während des Wettkampfes.

Katar aber jetzt generell die Berechtigung abzusprechen, sportliche Großveranstaltungen auszurichten, findet Predel überzogen. "Dann hätte in der Vergangenheit auch manche Fußball-Weltmeisterschaft nicht stattfinden dürfen."

(klü)
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