Ein Sachse für Belgien Der lange Weg des Michael Rösch

Düsseldorf/Pyeongchang · 2006 wird der Biathlet in Turin als 22-Jähriger Olympiasieger mit der deutschen Staffel. Doch statt einer Welt-Karriere folgen sportliche und private Krisen. Mit 34 kehrt er nun zu Olympia zurück. Als Belgier und mit Rauschebart.

 Michael Rösch in Pyeongchang.

Michael Rösch in Pyeongchang.

Foto: dpa, hsc hpl

Im Ziel geht Michael Rösch zu Boden. Völlig ausgepumpt. Der Speichel hängt gefroren im Rauschebart. Die zehn Kilometer auf der Biathlon-Sprintdistanz haben Kraft gekostet, am Ende steht für Rösch Rang 38 zu Buche. Zwei Fehler im Stehend-Schießen werfen ihn zurück, im Ziel beträgt sein Rückstand 1:31 Minuten auf den neuen Olympiasieger, Arnd Peiffer, den Deutschen. Michael Rösch war auch mal Deutscher. 30 Jahre lang. Er war auch mal Olympiasieger für Deutschland. 2006 in Turin. Mit 22. Jetzt ist er 34, seit vier Jahren Belgier und bei seinen zweiten Olympischen Spielen am Start. Es ist das vorläufige Ziel eines langen Weges.

"Das Ziel meiner Träume" nennt der gebürtige Sachse das, was er in Südkorea gerade erlebt. Er ist glücklich. Mit sich im Reinen. Obwohl, ja vielleicht gerade weil es lange Jahre nicht danach aussah, dass sich Rösch noch mal würde große Träume erfüllen können. Er war eher derjenige, der Träume begraben musste. "Ich habe so ziemlich das Schlimmste und das Schönste durchgemacht, das ein Sportler durchmachen kann", sagt Rösch rückblickend. Er könne mit all den erlebten Erfahrungen "ein Buch schreiben. Es waren ja keine Monate oder Wochen, sondern zwölf Jahre, die ich auf diesen Moment warten musste", sagt Rösch.

Sportliche und private Krisen statt einer Welt-Karriere

Vor zwölf Jahren steht ihm die Wintersport-Welt offen. Rösch gilt als Riesen-Talent, als Kronprinz der in die Jahre gekommenen Platzhirsche Sven Fischer und Ricco Groß. Er ist der junge Wilde, die Haare lugen im Nacken unter der Mütze hervor, er hat dieses schelmische Grinsen. Er läuft wie ein Hase, und er kann auch schießen. Bei den Winterspielen in Turin sorgt er mit seiner fehlerfreien Leistung maßgeblich dafür, dass die Staffel mit ihm, Groß, Fischer und Michael Greis Gold gewinnt.

Doch statt einer Welt-Karriere folgen sportliche und private Krisen. Die Erwartungshaltung hemmt ihn, sie beflügelt ihn nicht. Röschs Leistungen werden immer schlechter. In der Saison 2009/10 stuft der Bundestrainer Rösch vom Weltcup in den zweitklassigen IBU-Cup herab. Ein Jahr später reichen seine Ergebnisse nicht mal mehr aus, um dort einen Startplatz zu bekommen. Für Olympia 2010 in Vancouver wird er nicht nominiert. Die Rückkehr in den Weltcup wenig später ist nur ein Strohfeuer.

Es stimmt nicht mehr zwischen dem Deutschen Ski-Verband und dem Altenberger. Im Internet erfährt er von seiner Ausbootung. Auch privat läuft es alles andere als gut. Er baut ein Haus in der Heimat, unterschätzt aber völlig, was solch ein Projekt an Zeit und Kräften frisst. Später muss er dieses Haus verkaufen, weil das Geld knapp wird. Er zieht wieder bei den Eltern ein.

Rösch fühlt, dass er einen Neustart braucht. Außerhalb Deutschlands. Außerhalb des DSV. Er will aber auch in keinem anderen großen Nationalverband die Nummer sechs oder sieben sein. Er will irgendwo Biathlon-Aufbauarbeit leisten. So kommt er 2012 auf Belgien, auch wenn er heute über die Beweggründe sagt: "Die haben die besten Fritten, die beste Schokolade und das beste Bier." Rösch geht volles Risiko, wartet lange auf den belgischen Pass, gibt zuvor seinen Beamtenstatus auf Lebenszeit bei der deutschen Bundespolizei auf. Für die Sotschi-Spiele 2014 kommt der neue Pass aber zu spät. Also nimmt er Pyeongchang als großes Fernziel ins Visier.

"Ich habe Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, dass ich hier bin"

Über den zweitklassigen IBU-Cup qualifiziert er sich wieder für den Weltcup. Es ist ein zäher Weg, er erfordert viel Geduld und Zuversicht. Vor allem auch, als 2015 die Achillessehne reißt. Auch deswegen übermannen ihn die Emotionen, als Rösch im Dezember 2016 im slowenischen Pokljuka Rang sechs im Verfolgungsrennen erreicht. Unter Tränen und mit Rauschebart widmet er das Resultat seinem verstorbenen Ex-Trainer Klaus Siebert. Auch in diesen Tagen ist Rösch wieder nah am Wasser gebaut. "Ich habe Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, dass ich hier bin", sagt Rösch einen Tag nach der Eröffnungsfeier bei einem emotionalen Auftritt im ZDF.

Sportlich hat er sich einwandfrei qualifiziert für Südkorea, ist Teil des 22-köpfigen belgischen Teams, in dem in Florent Claude noch ein Biathlet steckt. Aber finanziell braucht Rösch Hilfe für die Reise nach Fernost. Und er holt sie sich. Über ein so genanntes Crowfunding sammelt er mehr als 24.000 Euro von 303 privaten Sponsoren. Die 303 verewigt er mit Foto auf seinem Gewehr. "Ich bin auf mich und vor allem die Leute stolz, die mich hierher gebracht haben", sagt Rösch.

Heute wird Rösch wieder am Start stehen im Alpensia Biathlon Centre. Ab 13 Uhr deutscher Zeit steht die Verfolgung auf dem Programm. "Ich genieße es einfach", sagt Rösch. Der Weg zurück war schließlich auch lang genug.

(klü)
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