Dopingskandal IOC schließt russisches Olympia-Team von Winterspielen aus

Lausanne · Kein Kollektiv-Bann, aber Russland muss bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang auf Hymne und Fahne verzichten. Nur unter neutraler Flagge dürfen die russischen Athleten teilnehmen.

 IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne.

IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne.

Foto: afp, LG SME

Allen Betrügereien zum Trotz ist Russland ein historischer Komplett-Ausschluss für die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang erspart geblieben. Stattdessen darf die Sport-Großmacht unbelastete Athleten unter neutraler Flagge in Südkorea an den Start schicken. Das entschied die 14-köpfige Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unter Vorsitz von Präsident Thomas Bach am Dienstag auf der mit Spannung erwarteten Sitzung in Lausanne und verzichtete damit 66 Tage vor dem Beginn der Spiele in Südkorea auf die Höchststrafe für Russland im Zuge des ungeheuerlichen Dopingskandals von Sotschi 2014.

In weiteren Maßnahmen wurde das Nationale Olympische Komitee Russlands (ROC) für die Winterspiele gesperrt. In Südkorea dürfen damit nur unbelastete russische Athleten "unter strikten Konditionen" teilnehmen. Sie werden unter olympischer Flagge starten. Die russischen Olympia-Sportler sollen am 12. Dezember entscheiden, ob sie zu den Winterspielen fahren oder nicht.

Sportminister Mutko von Olympia ausgeschlossen

Der frühere russische Sportminister Witali Mutko, der aktuell Chef des russischen Fußball-Verbandes und WM-Organisationschef ist, wurde als eine Schlüsselfigur im Doping-Skandal für alle zukünftigen Olympischen Spiele ausgeschlossen. ROC-Präsident Alexander Schukow wurde zudem als IOC-Mitglied suspendiert. Einen Komplett-Ausschluss - es wäre der erste in der 121-jährigen Geschichte der Olympischen Spiele wegen Doping-Verstößen gewesen - wird es jedoch nicht geben.

"Es handelt sich um einen nie dagewesenen Angriff auf die Integrität der Olympischen Spiele und des Sports. Diese Entscheidung soll einen Strich ziehen unter die verheerende Episode", sagte Bach auf einer Pressekonferenz am Abend und nahm damit Stellung zum mutmaßlich staatlich orchestrierten Dopingsystem in Russland, das in Sotschi seinen negativen Höhepunkt erfahren hatte.

Mithilfe des Geheimdienstes sollen zahlreiche Dopingproben von russischen Sportlern ausgetauscht worden sein. Das IOC hat bislang durch seine zwei Kommissionen 25 Sotschi-Teilnehmer lebenslang gesperrt und Russland elf Medaillen, darunter vier goldene aberkannt.

Trotz der erdrückenden Beweislage konnten sich Bach, der als Freund von Russlands Staatschef Wladimir Putin gilt, und seine Kollegen nicht zu einem Komplett-Ausschluss durchringen. Schon vor den Sommerspielen in Rio hatte das IOC - im Gegensatz zum Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) - Russland von einer drastischen Strafe verschont. Damals hatte das IOC die Verantwortung auf die Verbände übertragen, die eine Einzelfallprüfung der jeweiligen Sportler durchführen sollten. Viele Verbände waren damit überfordert und ließen die Athleten en bloc starten. IOC-Präsident Bach muss sich seitdem immer wieder anhören, er persönlich habe nicht genug Härte gegen Russland gezeigt.

Nun also die etwas verschärfte Maßnahme des IOC, russische Athleten nur unter neutraler Flagge starten zu lassen. "Alle sauberen Athleten werden unter streng definierten Bedingungen teilnehmen dürfen. Sie können in Pyeongchang eine Brücke bauen", ergänzte Bach.

Putin drohte mit Boykott

Putin hatte für diesen Fall vor einigen Wochen von einer Demütigung gesprochen und mit einem Boykott gedroht, in den letzten Tagen waren diesbezüglich aber moderatere Töne aus Moskau zu vernehmen. "Wir sind gegen eine Einschränkung der Rechte unserer Sportler", hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag noch betont. Ein staatlich gelenktes Dopingsystem wurde in Russland aber weiter vehement geleugnet.

Das Nationale Olympische Komitee Russlands wird voraussichtlich am 12. Dezember über eine Reaktion auf die IOC-Entscheidung beraten. Möglich wäre ein Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof, um die Entscheidung anzufechten. In Sachen Paralympics will unterdessen das IPC bis zum 22. Dezember eine Entscheidung treffen.

Auslöser des Skandals war der Dopingbetrug der Russen bei den Heim-Winterspielen 2014 in Sotschi. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Dopinglabors, Grigori Rodschenkow, hatte als Kronzeuge über den systematischen Austausch von Dopingproben russischer Athleten berichtet. Die Pläne dafür seien bis in höchste politische Kreise bekannt gewesen. So sollen Manipulationen bei 15 von 33 russischen Medaillengewinnern vertuscht worden sein. Viele Athleten sollen indes vor den Wettkämpfen einen leistungssteigernden Cocktail mit Steroiden und Alkohol erhalten haben.

Der kanadische Rechtsprofessor Richard McLaren hatte im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada in zwei Berichten umfangreiches Material gesammelt, die staatlich gesteuerte Manipulationen im russischen Sport belegen. Mehr als 1000 Athleten sollen zwischen 2011 und 2015 davon profitiert haben.

Durch weitere Erkenntnisse über die Dopingpraxis in Russland wuchs der Druck auf das IOC zuletzt weiter. Die Wada hielt erst im November die Suspendierung der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada aufrecht, weil staatlich gelenktes Doping geleugnet wird. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF bestätigte Ende November die Sperre russischer Athleten für internationale Wettkämpfe.

IOC-Chef Thomas Bach hatte mehrfach eine schonungslose Aufklärung versprochen. Dabei sollten zwei Kommissionen helfen. Unter Leitung des Schweizer IOC-Mitglieds Denis Oswald prüfte eine Expertenrunde inzwischen in 36 Fällen einen Dopingverdacht gegen russische Sportler - auch mit extra entwickelten kriminaltechnischen Methoden. Das Problem: Eine eigentlich mit Dopingsubstanzen verseuchte Probe gibt es nicht, sondern nur einen vermutlich manipulierten Behälter mit nachträglich getauschtem sauberen Urin.

Das IOC sperrte bereits 25 Sportler

In 25 Fällen disqualifizierte das IOC bereits russische Sportler, darunter die Olympiasieger Alexander Subkow (Zweier- und Viererbob), Alexander Legkow (Langlauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton), und sprach lebenslange Olympia-Sperren aus. Damit büßte der Gastgeber von 2014 seine Spitzenposition im Medaillenspiegel an Norwegen ein. Die "forensischen und analytischen Dopinguntersuchungen" seien eindeutig, so die Oswald-Kommission. Damit stufte das IOC die Aussagen des in die USA geflohenen Rodschenkow auch als "glaubwürdig" ein.

Die Kommission unter Leitung des früheren Schweizer Bundespräsidenten Samuel Schmid hatte indes die Aufgabe herauszufinden, wer in dem von McLaren beschriebenen System welche Verantwortung trug. Diese Erkenntnisse sollten vor allem als Grundlage der IOC-Entscheidung über die Sanktionen gegen Russland dienen. "Wir haben eine solche Form des Betrugssystems vorher noch nie gesehen", sagte Schmid.

Vor der entscheidenden Sitzung der IOC-Exeutive waren die Meinungen über die mögliche Strafe weit auseinandergegangen. Während ein Großteil der Anti-Doping-Agenturen einen strikten Komplett-Ausschluss gefordert hatte, waren die Wintersportverbände überwiegend dagegen. Auch, weil unbelastete russische Sportler so in Mithaftung genommen würden. Wie etwa Jewgenia Medwedewa. Die 18 Jahre alte Eiskunstlauf-Weltmeisterin hatte vor vier Jahren in Sotschi nichts mit dem Skandal zu tun. Am Dienstag gehörte sie der russischen Delegation um NOK-Chef Alexander Schukow in Lausanne an.

(sid)
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