Analyse zu Olympia in Sotschi Die Spiele brauchen dringend Reformen

Sotschi · Sotschi war perfekt für die Athleten. Als Vorbild für künftige Spiele taugt das Sportfest am Schwarzen Meer aber nicht.

Analyse zu Olympia in Sotschi: Die Spiele brauchen dringend Reformen
Foto: dpa, gh

Sotschi ist vorbei, und schon drohen die nächsten problematischen Winterspiele. In Pyeongchang versucht das Internationale Olympische Komitee wieder, einen neuen Markt zu beackern. Besuchern der Biathlon-Weltmeisterschaften 2009 graut schon jetzt vor Südkorea. Dauerregen, Temperaturen von 16 Grad, Föhnsturm — die äußeren Umstände dort sind selbst im Februar oft vollkommen ungeeignet für den Wintersport. Die Spiele werden — anders als zum Beispiel 2010 im kanadischen Vancouver — nicht in eine attraktive Stadt eingebunden. Doch nur solche Regionen ziehen in hohem Maße internationales Publikum an. Und die Wintersportbegeisterung des örtlichen Publikums beschränkt sich im Wesentlichen auf Shorttrack. Die Wettkämpfe der Biathlon-WM fanden vor ein paar Hundert Zuschauern statt.

Immerhin soll's billiger werden als jetzt in Sotschi. Neun Milliarden US-Dollar wollen die Koreaner für die Spiele selbst sowie für den Aufbau einer dauerhaft tauglichen touristischen Infrastruktur ausgegeben werden. Russland setzte jetzt 50 Milliarden Euro ein.

Unzureichende Menschenrechtslage

Die überdimensionierten Sportanlagen ohne Garantie auf eine vernünftige Nachnutzung, die Umweltzerstörung, die durch Peitschenhiebe gegen Mitglieder der Band Pussy Riot dokumentierte unzureichende Menschenrechtslage — das alles bleibt in der Erinnerung von den Spielen in Sotschi. Dass an der Schwarzmeer-Promenade über Nacht ein Café entstand, nur damit Staatspräsident Wladimir Putin ein paar Gäste auf ein Tässchen im Sonnenschein einladen konnte, passt ins Bild dieser Spiele, die dem Staatspräsidenten als Denkmal dienten.

Thomas Bach hat die "wirklich überwältigend" positiven Reaktionen der Sportler im Fazit seiner ersten Spiele als IOC-Präsident hervorgehoben. "Ich habe keine einzige Beschwerde von auch nur einem Athleten gehört", sagte er. Tatsächlich funktionierten die Spiele aus Sicht der Athleten praktisch perfekt. Zweckmäßige Sportanlagen, kurze Wege, gute Unterbringung — es gab keinen Grund zu klagen. Doch um welchen Preis? Ohne Rücksicht auf die Belange der Natur und vieler ursprünglich in der Region beheimateten Menschen setzte sich Olympia im Kaukasus durch.

Bach hat diese Spiele von seinem Vorgänger Jacques Rogge übernommen. Nach Rio im Sommer 2016, Tokio 2020 und den Winterspielen 2018 in Pyeongchang wird es zum ersten Mal einen Olympia-Ausrichter geben, der in seiner Amtszeit gekürt wurde. Der frühere Fechter hat Reformen angekündigt. Und die tun not.

"Die Spiele fressen sich selber auf mit dem Gigantismus. Was zu viel ist, ist zu viel", sagte Gian-Franco Kasper, der Präsident des Internationalen Skiverbands, der Zeitung "Standard", "ich bin ein konservativer Mann und träume immer noch vom tief verschneiten Holzhaus, vor dem die Spiele stattfinden. Ich weiß, dass das eine Illusion ist. Aber wir können zurückgehen."

Das Gegenteil von grünen Spielen

Das IOC trägt das Wort "legacy", also Erbe oder Hinterlassenschaft, gern vor sich her. Von "grünen Spielen" erzählt es gern. Doch Sotschi war das Gegenteil. Die ablehnende Haltung, die in Europa solchen Projekten heute entgegenschlägt, drückte sich im bayerischen Votum gegen die Spiele 2022 aus, aber auch im Nein des Schweizer Kantons Graubünden und der Stockholmer Stadtregierung. Selbst Oslo, der Favorit auf die übernächsten Winterspiele, baut nur auf eine knappe Mehrheit der Bevölkerung, im ganzen Land Norwegen überwiegt der Widerspruch. Und Österreich will weder Sommer- noch Winterspiele.

Auch das Wettkampfprogramm ruft nach einer grundlegenden Erneuerung. Weniger wäre mehr. Warum gibt es bei Olympia noch Skispringen auf der Normalschanze, während dieser Wettkampf im Weltcup praktisch nicht mehr existiert? Brauchen die Kombinierer zwei Einzelwettkämpfe, die sich nur durch die Größe der Schanzen unterscheiden? Zwölf Rennen der Eisschnellläufer und acht im Shorttrack sind in der Summe zu viel.

Die Zukunft gehört zum Beispiel Mixed-Wettkämpfen, wie sie im Biathlon, im Rodeln und im Eiskunstlauf in Sotschi erstmals — und mit großer Begeisterung beim Publikum stattfanden. Skispringen und alpiner Skisport drängen mit ähnlichen Formaten ins Programm.

Olympia muss sich weiterentwickeln

Bis Ende des Jahres will das IOC eine "Roadmap" erarbeiten, die für die kommenden Jahre den Weg weist. Bach bezeichnet den Kurs als "Agenda 2020". Noch sprudeln die wichtigsten Einnahmequellen. Doch Olympia muss sich ständig weiterentwickeln, damit es attraktiv für Fernsehsender (vor allem für nordamerikanische) und für seine weltweit operierenden Sponsoren als wichtigste Geldgeber bleibt. Und die Rücklagen der Herren der Ringe liegen bei mehr als 500 Millionen Dollar. Für die Spiele 2018 und 2020 hat das IOC jetzt schon 2,6 Milliarden Dollar eingenommen. Doch was kommt danach?

Der Wunsch nach Reformen begleitet die Spiele übrigens schon seit ihrer ersten neuzeitlichen Austragung im Jahr 1896. So tagte das IOC im Jahr 1957 eine Woche lang im Grand Hotel "Balkan" in Sofia, um "mit Ernst und Eifer", wie Zeugen berichteten, die verschiedensten Vorschläge zu prüfen. Doch weder aus der radikalen Beschneidung des Programms, noch aus der Wiedereinführung des Kunstwettbewerbs mit Dichtkunst, Bildhauerei und Gesang wurde etwas.

Eine gute Idee brachten damals die Franzosen vor. Sie riefen nach einer Dreiteilung der Spiele in Winter-, Frühjahr- und Sommerspiele. Frühjahrsspiele gibt es seit den 16 Wettkampftagen von Sotschi.

(RP)
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