Annäherung bei Olympia Korea menschelt

Pyeongchang · Bei den olympischen Spielen nähern sich Nord- und Südkorea auf eine Weise an, die zeigt, wie sehr sich beide entfremdet haben. Dennoch war Olympia in Pyeongchang ein erster wichtiger Schritt.

Pyeongchang 2018: Fans feiern vereintes koreanisches Eishockey-Team
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Fans feiern vereintes koreanisches Eishockey-Team

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Foto: afp

Ein seltsamer Moment war das, als diese nordkoreanische Kapelle die Live-Arena von Gangneung bespielte. Die Uniformen erinnerten an einen Spielmannszug, die Musik klang perfekt einstudiert, die Bewegungen haargenau choreographiert. Die etwa 40 Nordkoreaner genossen auch reichlich Publikum. Das ganze Gelände, das zu anderen Zeiten der vergangenen zwei Wochen eher als Abkürzungsweg zwischen den Wettkampfstätten diente, war brechend voll mit Zuhörern. Und dann das: die Musiker schlugen nicht nur Takte an, zu denen diverse Beine mitwippten. Die Nordkoreaner lächelten dazu.

Eigentlich nichts Besonderes, und doch eine kleine Revolution. Bei den Olympischen Spielen von Pyeongchang, an deren sicheren Ablauf von vielen Seiten Zweifel geäußert worden waren, haben sich die sonst verfeindeten Nord- und Südkorea einander vorsichtig angenähert. Und die einzige Kollision war am Ende eine fruchtbare, eine Kollision in den Köpfen der Menschen. Man weiß es eigentlich besser und kann sich spätestens nach kurzem Überlegen vorstellen, dass auch in Nordkorea gelächelt wird. Aber als diese strahlenden Gesichter mit kenntlicher nordkoreanischer Flagge das nun auch wirklich zeigten, war man trotzdem irgendwie erstaunt. "Schau mal, das sind Nordkoreaner!", packte eine Mutter ihr Kind im Grundschulalter am Schopf, als sie vor der Bühne in Gangneung standen, wo die Kapelle aus Pjöngjang spielte. "Echt? Wow!", schoss das Kind zurück, reckte sich, um auch was sehen zu können.

Die Musiker in Gangneung waren ein Beispiel von vielen. Ein anderes war der Corps von Cheerleadern, der die gesamtkoreanische Mannschaft im Eishockey der Frauen anfeuerte. Die jungen Frauen hatten sich in kleineren Gruppen auf mehrere Tribünen verteilt, ihre synchronen Kampfrufe umzingelten in der Halle jeden Zuschauer. Aber so kamen diese kommunistischen Ultras nicht nur streng und einschüchternd rüber, sondern zugleich mitfühlend und optimistisch. Auch die Schwester von Kim Jong-un, Kim Yo-jong, bot den Kameras wiederholt ein mildes Lächeln, als sie zu Besuch kam, um Südkoreas Präsident Moon Jae-in einen Brief ihres Bruders zu übergeben.

"Solche Bilder hab' ich noch nie gesehen", sagte Lee Ji-hye, eine Frau mittleren Alters, in einem Restaurant in der Hauptstadt Seoul vergangene Woche. Verdutzt starrte sie an die Wand, an der ein Flatscreen die News zum Besuch von Kim Jong-uns Schwester übertrug. "Dieses Menschliche an ihr ist befremdlich", fand die Frau. "Aber auch gut." Scott Kim, ein nordkoreanischer Flüchtling, der im Süden Seouls für ein Handelsunternehmen arbeitet, war begeistert von der medialen Berichterstattung dieser Tage: "Wann hört man hier im Süden mal offizielle Musik aus dem Norden? Wann geht es mal nicht um das Böse aus Pjöngjang? Mir haben die letzten Wochen das Herz erwärmt." Einige seiner Arbeitskollegen hatten das Konzert live im Fernsehen verfolgt und seien erstaunt gewesen: Nordkorea habe ja Musikkultur!

Wenn zutiefst menschliche Praktiken Verwunderung hervorrufen, sobald sie den Gesichtern von nordkoreanischen Offiziellen entspringen, ist dies auch ein Zeugnis über das Bild, das man sonst von diesem Land hat. In Südkorea und der westlich geprägten Welt ist Nordkorea seit Jahren ein beliebter Satiregegenstand: Nordkorea erfindet die Wahrheit, wie sie nur Nordkorea gefällt. In Nordkorea passiert nichts, was nicht passiert sein darf. Nordkorea beseitigt auch seine Feinde, um ein absurdes Heldenethos um die Kim-Dynastie aufzubauen. Nichts davon ist falsch, aber alles davon zeichnet ein reduziertes Bild eines Landes, in dem Menschen auch Kunst machen, eine kulinarische Kultur haben und Witze reißen.

So wirkt das Menscheln der vergangenen Wochen wie der Anfang einer Annäherung zweier Länder, die sich über sechseinhalb Jahrzehnte so sehr voneinander entfremdet haben, dass sie sich manchmal sogar die Menschlichkeit absprechen. Was kann folgen? Staatsbesuche nach Pjöngjang und Seoul womöglich. Vielleicht auch eine Wiedereröffnung der Industrieanlage im nördlichen Kaesong, wo jahrelang südkoreanische Unternehmen mit nordkoreanischen Arbeitskräften produzierten, bis zuletzt alle Zelte abgebrochen wurden, weil Nordkorea zu viele Raketen durch die Luft jagte. Diese Tage wurde auch schon zaghaft über die Zusammenführung getrennter Familien gesprochen. "Wir haben einen weiten Weg vor uns", hat Südkoreas Präsident Moon Jae-in während der Olympischen Spiele sinngemäß mehrmals betont. Aber dass man das Gegenüber nicht nur als Barbaren sieht, sondern als Menschen, ist schonmal ein erster Schritt.

(RP)
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