Deutsche Spitzensportreform "Zurück in die Weltspitze"

Frankfurt/M. · Seit Barcelona 1992 wird die Medaillenbilanz der deutschen Olympia-Mannschaft immer schwächer. Der Rheinländer Dirk Schimmelpfennig treibt die Spitzensportreform voran, um eine Trendwende zu schaffen.

 Dirk Schimmelpfennig.

Dirk Schimmelpfennig.

Foto: imago

Die deutschen Leichtathleten sind zufrieden von ihren Weltmeisterschaften aus Peking zurückgekommen, die Schwimmer erfüllten indes die Erwartungen bei ihren Weltmeisterschaften. Die großen Titelkämpfe in diesem Jahr sind Gradmesser für die Olympischen Spiele im August 2016 in Rio de Janeiro. Erklärtes Ziel der deutschen Mannschaft ist es, das Ergebnis der Spiele von 2012 in London zu bestätigen. Doch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will danach mehr. Er will zurück in die Weltspitze. Dirk Schimmelpfennig, seit März im Vorstand des Dachverbands für den Leistungssport zuständig, schließt sich dem Wunsch des für den Sport zuständigen Bundesinnenministers Thomas de Maizière an: Der CDU-Politiker verlangt ein Drittel mehr Medaillen.

Schimmelpfennig, der zuvor prägende Figur beim Aufbau des erfolgreichen Deutschen Tischtennis-Zentrums in Düsseldorf war, ist die treibende Kraft bei der Spitzensportreform, die zu effektiveren Strukturen im deutschen Sport führen soll. In Rio wird der Rheinländer zusammen mit Michael Vesper, dem Vorstandsvorsitzenden des DOSB, die Mannschaft leiten. Bei den Europaspielen in Baku standen sie bereits an der Spitze des Teams.

Über de Maizières Zielsetzung sagt Dirk Schimmelpfennig: Das ist eine langfristige Zielstellung, die ich als Versuch einordne, zurück in die Weltspitze zu gelangen. Das ist ein ehrgeiziges, aber eben kein kurzfristiges Ziel. Rio könnte eine Trendwende sein. Es könnte aber auch sein, dass der Trend, der seit 1992 anhält, in unserer aktuellen Sportstruktur anhält. Eine ehrgeizige Zielstellung ist momentan hilfreich. Wir sollten uns alle in diese Richtung ausrichten. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Athleten die Chance haben, ihre Ziele zu erreichen, ohne derart unter Druck zu geraten, dass die Dopinggefahr steigt.

Über die Dopingproblematik: Über einen konsequenten Antidopingkampf im Sinne der Glaubwürdigkeit des Sports brauchen wir nicht zu diskutieren. Mit einer konsequenten Reform können wir Spitzenergebnisse auch erreichen, ohne zu manipulieren. Wir müssen die Dopingproblematik mit aller Konsequenz bekämpfen, in Deutschland und international. Das ist ein schwieriges Feld. Für uns ist das Dopen ein absolutes Tabu, wir wollen Bedingungen sicherstellen, in denen ein erfolgreicherer Leistungssport ohne Doping möglich ist.

Über die Zielsetzung für Rio 2016: Wir sind realistisch bei der Zielstellung geblieben, die wir zu Anfang dieses Olympiazyklus gesetzt haben. Wir lassen uns an dem Ergebnis von London messen, das waren 44 Medaillen. Das Ergebnis wollen wir wieder erreichen und nach Möglichkeit verbessern, was auch dem entspricht, was die Sportfachverbände in den Zielvereinbarungsgesprächen festgelegt haben (siehe Grafik). Das Ziel "Ein Drittel mehr Medaillen" bezieht sich auf die weitere Zukunft des deutschen Leistungssports. Die Reform des deutschen Leistungssports kann nicht vor Rio einsetzen und demzufolge dort auch noch nicht greifen.

Über neue Sportarten im olympischen Programm: Darauf müssen wir uns in unserem Reformprozess in Deutschland einstellen, wenn es um die Förderung nicht-olympischer Verbände geht. Nicht-olympische Verbände werden künftig bei Umsetzung der Agenda 2020 des IOC schneller zu olympischen Verbänden werden können als in der Vergangenheit. Wir brauchen in der Leistungssportförderung deshalb eine größere Flexibilität, weil sich die Schwerpunkte zwischenzeitlich verändern. Die Anzahl der Athleten und der Entscheidungen bei den Spielen wird sich nicht verändern. Man wird aber vielleicht zusätzliche Sportarten aufnehmen und dafür die Zahl der Entscheidungen in den aktuellen olympischen Sportarten und damit auch Disziplinen entsprechend reduzieren. Wir zielen auf eine vier- oder achtjährige Förderung ab. Innerhalb von acht Jahren kann sich einiges ändern.

Über das Sportsystem in Deutschland: Wir haben im Moment ein wenig gesteuertes, wenig geführtes Sportsystem mit vielen Teil-, Parallel- und Subsystemen. Ein übergeordnetes Ziel bietet die größte Chance, Synergien zu schaffen und wenn das Ziel entsprechend deutlich formuliert wird, wird allen Beteiligten stärker bewusst, wie dringend wir diese Effekte benötigen. Bei uns verpufft viel, weil in vielen Bereichen nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet wird, aber nicht wirklich abgestimmt.

Über die Vielfalt der Sportarten: Wir müssen uns in der Förderung zunächst an der Zielstellung orientiert auf die Sportarten konzentrieren, die Erfolgspotenzial und entsprechende Strukturen haben. Die Verbände müssen die Konzepte, die sie zu Beginn eines Olympiazyklus festlegen, in ihrer Struktur umsetzen können. Die Verbände, die keine Potenziale haben und nicht die entsprechenden Strukturen aufbringen, sind im Spitzensport nicht förderungswürdig.

Über einen Förderstopp für einzelne Sportarten (z.B. Curling): Mit Blick auf die Weltspitze wird deutlich, dass im Sommersport Nationen, die vorn stehen - wie China, USA, Russland - sehr breit aufgestellt sind und praktisch alle olympischen Sportarten fördern. Deshalb halte ich es für fragwürdig, Sportarten auf Sicht komplett abzukoppeln. Aber wir dürfen andererseits nicht nach dem Gießkannenprinzip fördern, sondern müssen ganz gezielte Aufbauprogramme für einzelne Sportarten aufstellen.

Über die Bedeutung einer Bewerbung Hamburgs um die Spiele 2024/2028: Wir müssen die Leistungssportreform, die durch den Bundesinnenminister und den DOSB-Präsidenten initiiert wurde, im Grundsatz unabhängig von der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 oder 2028 betrachten. Wenn es eine Entscheidung gegen Hamburg geben sollte, darf uns das nicht von unserem Weg abbringen. Wenn Hamburg aber den Zuschlag bekommt, wird der Reformprozess dadurch sicher zusätzlich angeschoben. Dann wird die Zielstellung noch klarer. Die Bühne steht dann im eigenen Land. Anm. d. Red: Ende November stimmen die Hamburger über die Bewerbung ab.

(bei)
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