Poledance Aus dem Zwielicht zu Olympia

Düsseldorf · Poledance will weg vom Rotlicht-Klischee. Die Tänzer an der Stange sehen es als professionellen Sport. Unser Autor hat es ausprobiert.

Auch das rhythmische Klatschen und die anfeuernden Rufe der zwölf Tänzerinnen helfen nicht: Nur mit äußerster Anstrengung kann ich mich horizontal in der Luft halten, krampfhaft umklammern meine verschwitzten Hände die metallene Stange in Hung Vus Poledance-Studio. Das Gewicht meines Oberkörpers auf der einen Seite der Stange gleichen meine Beine auf der anderen Seite aus. Schweiß tropft von meiner Stirn auf den hölzernen Boden, während ich mich langsam mit der Stange drehe. Eleganz sieht anders aus.

Worauf habe ich mich da bloß eingelassen, schießt es mir durch den Kopf, als ich sanft mit den Füßen auf dem Boden lande und im gut gemeinten Jubel der jungen Frauen hin und her taumle. Mir ist schwindelig. Vor einer Woche habe ich beschlossen, selbst einmal Poledance auszuprobieren. Denn die Bewegungsform, die einige noch immer mit Stripclubs und schmierigen alten Herren im Publikum verbinden, wandelt sich derzeit stark: Immer mehr Frauen betreiben Poledance als professionellen Sport - auch einige Männer gibt es in dieser Disziplin.

Wie in allen Poledance-Studios ist auch hier, bei "Poledance NRW" an der Düsseldorfer Rethelstraße, knappe Kleidung üblich. Das hat einen sportlichen Grund: Für viele Figuren muss man sich nicht nur mit den Händen, sondern auch mit den Armen, der Taille oder den Beinen an der Stange halten. Bei solchen Tricks, wie die Figuren heißen, haftet nackte Haut an der Stange meist besser als Stoff oder Kunststoff. Während ich schnaufend, mit einer Hand an der silbernen Stange darauf warte, dass sich mein Gleichgewichtsempfinden wieder einstellt, spielt die Trainerin Huong Vu laute House-Musik ab und verfeinert den eben geübten "Babyspin" mit ihren elf Schülerinnen. Die zierliche Frau mit den schwarzen Haaren geht von Schülerin zu Schülerin, biegt hier ein angewinkeltes Bein zurecht und streckt dort einen Arm, bis die Pose sitzt. "Und jetzt noch sexy gucken!", ruft die 35-Jährige mit ihrer kratzigen Stimme durch den Raum und lacht. Trotz aller Abgrenzung vom Rotlichtmilieu - Erotik spielt auch hier eine Rolle.

Immer eleganter, immer koordinierter, immer unbeschwerter wirkt die Darstellung der jungen Frauen. Innerlich ziehe ich den Hut vor den Tänzerinnen, die die kraftaufwändige Figur ein halbes dutzend Mal hintereinander üben. Angefangen haben die meisten Schülerinnen dieses Kurses vor mehr als einem Jahr mit einem Level-Null-Training. Seitdem trainieren sie mindestens einmal die Woche. Im heutigen Kurs unterrichtet Vu auf dem Level eins. Wer weiß, dass die Schwierigkeitsgrade bis zu Level fünf gehen, kann sich vorstellen, wie schwer und lernintensiv Poledance als Sport ist. Seit Jahrhunderten wird Poledance schon im chinesischen Zirkus gezeigt. Etwas früher gab es schon eine Art Poledance in Indien - hier tanzten Männer an einem Holzstamm, der etwas dicker war als die heutigen Metallstangen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand der Sport den Weg in die Stripclubs Nordamerikas und Europas. Inzwischen ist Poledance wieder salonfähiger geworden. Vor allem in England, den USA und Australien wird er als Sport betrieben, auch in Deutschland gibt es schätzungsweise 150 Poledance-Studios. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, weil sie nicht in Vereine eingebunden und zentral organisiert sind. In Düsseldorf gibt es insgesamt drei Angebote. Die internationale Polesportvereinigung und die Organisation des deutschen Polesports setzen sich dafür ein, dass Poledance olympisch wird.

Mit Miss & Mister Poledance und der Deutschen Polesport-Meisterschaft gibt es zwei wichtige Wettbewerbe in Deutschland. Trotz jahrelanger Erfahrung will Vu dort nicht teilnehmen. "Wenn man sich dem Druck aussetzt, vor einer Jury zu bestehen, macht Poledance keinem mehr Spaß." Weil Poledance nicht nur Sport, sondern auch Tanz ist, gehe es auch um kreative Leistungen - und die seien schließlich nicht objektiv von einer Jury beurteilbar. Einige von Vus Schülerinnen nehmen aber an Wettbewerben teil.

"Mich reizt, dass ich meine Kraft und Beweglichkeit trainieren und gleichzeitig tanzen kann", sagt die 34-jährige Stefanie Marzan. Sie hat bereits 2011 mit Vu getanzt, als diese noch in einem Fitnessstudio unterrichtet hat.

Als Vu ein Jahr später ihr eigenes Studio in Düsseldorf eröffnete, blieb sie an ihrer Seite. Kräftiger, straffer und beweglicher werde der Körper relativ schnell, sagen Marzans Kolleginnen. Doch man brauche einen monatelangen Atem, um durchzuhalten, bis die Figuren an der Stange ansatzweise elegant aussehen. Die meisten Protagonisten an der Stange sind Frauen zwischen 25 und 40 Jahre. Auch einige Männer waren schon eine Zeit lang dabei. Jüngere Tänzer gebe es aber kaum, sagen die Frauen. Eine Poledance-Stunde in Düsseldorf kostet mindestens 15 Euro.

Als es draußen schon dunkel geworden ist und das Ende des Trainings naht, verlasse ich die Tanzfläche, um auf dem großen schwarzen Sofa in der Ecke des Studios letzte Notizen für meine Reportage zu machen. Wie anstrengend mein Training wirklich war, merke ich, als meine Finger beim Schreiben zittern.

Vu hat aber noch nicht genug. Mit ihren Schülerinnen klettert sie zur Filmmusik von "Matrix" an der Stange bis unter die Decke des fast zwei Mann hohen Studios, um ihnen dort weitere Figuren beizubringen. Als ich schließlich den Raum mit den Frauen verlasse, treffen wir im Flur vor der Tür ein Dutzend weiterer Tänzerinnen und Tänzer, die auf den Beginn ihres Level-5-Kurses warten. Für sie gehört der "Babyspin", an dem ich mich heute abgemüht habe, längst zum Standardrepertoire.

(RP)
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