Bleibt die Sportart olympisch? Ringen um Ringen

Rio de Janeiro · Vor drei Jahren stand die Sportart vor dem Aus bei den Olympischen Spielen. Dem IOC war Ringen zu wenig Event. In Rio kämpfen die Athleten somit nicht nur um Medaillen, sondern auch um die Zukunft ihres Sports.

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Elmurat Tasmuradow wird an diesem Abend eine Bronzemedaille für Usbekistan gewinnen. Das weiß der 24-Jährige zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Erst einmal muss der Ringer in der Kategorie griechisch-römisch bis 59 Kilogramm an diesem Morgen ja auch im Achtelfinale den Serben Kristian Freis besiegen. Das gelingt ihm mit 3:1. Doch während für den Usbeken dieser Kampf nur ein Schritt auf dem Weg zu olympischem Edelmetall ist, wird er für Michael Faller aus Neuss für immer in Erinnerung bleiben. Denn es ist sein erster Auftritt als Kampfrichter hier in Rio, bei seinen ersten Spielen. "Es ist schon ein ganz besonderes Gefühl, auch wenn nur ganz klein, ein Teil der Spiele zu sein", erzählt der 50-Jährige, der früher selbst für den KSK Konkordia Neuss auf der Matte gerungen hat.

Beide hatten sie diese Olympischen Spiele mit großer Spannung erwartet - Faller selbst, aber auch seine Sportart als Ganzes. Denn es ist gerade mal drei Jahre her, da war Ringen weg vom Fenster, da hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Sportart mit antiken Wurzeln ab 2020 aus dem Kanon der Sommerspiele ausgeschlossen. Die Sportart sei verknöchert, nicht reformwillig, sie ziehe zu wenig Zuschauer an, so die Vorwürfe damals. Ringen war kein Event aus Sicht des IOC, und heutzutage muss eine Olympiasportart in erster Linie Event sein, dann Sport.

Doch die Entscheidung aus dem Februar 2013 löste eine Welle der Unterstützung für das Ringen aus, selbst Barack Obama, Wladimir Putin und der damalige iranische Machthaber Mahmoud Ahmadinedschad setzten sich für einen Verbleib in der olympischen Familie ein. Letztlich hatte der Kampfeswillen der Ringer Erfolg. Unter dem neuen Weltverbandspräsidenten Nenad Lalovic, einem serbischen Bauunternehmer, räumte man die Sportart auf, vereinfachte die Regeln und Gewichtsklassen und ließ mehr Frauen zu. Und so entschied das IOC im September 2013, Ringen für die Spiele 2020 und 2024 doch als zusätzliche Sportart zu behalten. "Im Nachhinein muss man sagen, dass der Rausschmiss auch Gutes hervorgebracht hat. Sportliche und personelle Strukturen wurden endlich neu geschaffen, und Lalovic hat das in ihn gesetzte Vertrauen mehr als gerechtfertigt", findet Faller.

Rio ist dieser Tage nun die Probe aufs Exempel: Schafft Ringen mit seinen Wettkampftagen in der 10.000 Zuschauer fassenden "Carioca-Arena 2" den Schritt vom Sport zum Sportevent? "Ringen steht hier unter besonderer Beobachtung, ja, das stimmt", sagt Faller. Obwohl an diesem Nachmittag die US-Basketballer in der Halle nebenan spielen, füllen sich die Plätze auch beim Ringen nach und nach. Es ist zwar nicht voll am Ende, aber gut gefüllt. Und die, die da sind, spiegeln die maßgebliche Weltkarte des Ringens wider: Asiaten, Russen, Kasachen, Usbeken, Amerikaner, Iraner und Skandinavier. Sie bekommen mehr Show zu sehen als früher, mehr Party. Hier in Rio laufen die Kämpfer wie Gladiatoren zu Rockmusik ein. "Marketing und Präsentation haben sich deutlich verbessert", findet auch Faller. Die Zuschauer müssen letztlich grundlegend nur wissen, dass jeder Ringer den anderen auf der Schulter am Boden festsetzen will, dass mal im Stand und mal auf dem Boden gekämpft wird, und dass bei griechisch-römisch Griffe nur oberhalb der Gürtellinie, im Freistil dagegen Griffe überall erlaubt sind. Weniger ist bei Regeln eben oft mehr.

Bei den Finalkämpfen ist die Stimmung naturgemäß am besten, und wenn dann ein Koloss wie der Kubaner Mijain Lopez-Nunez hier in Rio sein drittes Olympiagold in der Klasse bis 130 Kilogramm holt "und das rasende brasilianische Publikum dann mit einer Sambaeinlage auf der Matte überrascht", wie Faller erzählt, dann sind genau das die Momente, die das IOC sehen will. Es sind Bilder, mit denen Ringen letztlich seine Probezeit nutzen will. Es könnte klappen, denn die Brasilianer sind schließlich für alles empfänglich, was Körperkult im Sport betont. Faller würde sich wünschen, dass Rio zur Werbeveranstaltung für seinen Sport wird, denn er brennt für ihn. "Ringen ist ein ehrlicher Sport", findet er.

Dem Ringen in Deutschland würde zudem natürlich ein gutes Abschneiden der eigenen Athleten helfen. Da war die Bronzemedaille für Denis Kudla in der Klasse bis 85 Kilogramm schon mal ein Pfund. Aber Faller mahnt bei aller Freude: "Diese Leistungen sind in erster Linie nur durch Idealismus möglich." Für seine eigene gilt das auch. Für Olympia bekam er Sonderurlaub von seinem Arbeitgeber. Die Sorgen der Ringer sind letztlich dieselben wie von anderen Randsportarten, die hier bei Olympia ihre seltene große Bühne haben: wenig Fördergelder, wenig TV-Präsenz, wenig Sponsoren. "Ich weiß nicht, wie viele Jahre der gesamte DOSB mit all seinen Sportarten vom Budget eines einzigen Fußball-Bundesligisten leben könnte", sagt Faller.

Aber von solch einem Gedanken will er sich seine ersten Olympischen Spiele nicht verdunkeln lassen. Dafür liefern sie dem Neusser einfach zu viele "Gänsehautmomente", wie er es nennt. Gänsehautmomente einer Sportart, die hier in Rio ihren Neuanfang versucht.

(klü)
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