IOC entscheidet über Russland Komplette Verbannung oder Ausschluss mit Schlupflöchern?

Lausanne · Das IOC lässt sich mit einer Entscheidung über einen Komplett-Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen mindestens bis Sonntag Zeit. Rundherum brodelt es.

Russischer Dopingsumpf: eine Chronologie
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Foto: dpa, mr nic sup gfh

Komplette Verbannung oder Ausschluss mit Schlupflöchern? Start unter Olympischer Flagge oder der russischen Trikolore? Nach dem Aus von Russlands Leichtathleten für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro müssen das IOC und Präsident Thomas Bach eine historische Entscheidung treffen.

Olympia-Eröffnungsfeier ist in zwei Wochen

Die erste Aussperrung eines Landes wegen Staatsdopings in der olympischen Geschichte steht im Raum, der Druck von allen Seiten ist gewaltig, und auch die Uhr tickt gnadenlos - die Eröffnungsfeier im legendären Maracana-Stadion ist in weniger als zwei Wochen.

Da mutet es schon seltsam an, dass die mächtige IOC-Exekutive nach der Bestätigung des Ausschlusses der Leichtathleten durch den Internationalen Sportgerichtshof CAS zwei volle Tage ins Land ziehen lässt. Erst am Sonntag schalten sich die elf Herren und vier Damen wieder in einer Telefonkonferenz zusammen. Zuvor wurde wohl Hinterzimmer-Diplomatie betrieben. Wann die Entscheidung verkündet wird, ist unklar, die IOC-"Regierung" hat sich selbst eine Frist bis Dienstag gesetzt.

Nachtests bringen 45 weitere Dopingfälle ans Licht

Und mitten hinein in die entsprechenden Überlegungen ging das IOC am Freitag mit neuen erschreckenden Zahlen an die Öffentlichkeit. In der zweiten Welle der Nachuntersuchungen von Proben der Sommerspiele 2008 in Peking und 2012 in London wurden weitere 45 Sportler überführt. Unter diesen befinden sich 23 Medaillengewinner von Peking und acht von London.

In der ersten Welle im Mai hatte es bereits 53 positive Fälle (30 Peking, 23 London) gegeben, 22 (14/8) davon stammten damals von russischen Sportlern. Ein ähnliches Verhältnis dürfte es nun wohl auch wieder geben. Sollte dem wirklich so sein, könnte dies die Entscheidung noch stärker in eine Richtung drängen.

Schon jetzt läuft alles auf eine Komplett-Sperre oder eine mit Schlupflöchern hinaus. Pikanterweise werden selbst aus den Reihen der Anti-Doping-Jäger mittlerweile beide Forderungen an Bach herangetragen.

Während die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA eine Sperre ohne Wenn und Aber will, verlangen 14 nationale Agenturen, darunter die deutsche NADA, in einem Brief an den IOC-Boss einen kompletten Bann mit Ausnahmegenehmigungen. "Aber die Hürden müssen hoch sein", sagte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer dem SID.

Es könne nur in die Richtung gehen, die auch der Leichtathletik-Weltverband IAAF eingeschlagen habe, ergänzte Mortsiefer. Sportler, die zuletzt "auch nur annähernd" mit dem russischen Kontrollsystem in Berührung gekommen seien, "dürfen keine Chancen mehr bekommen".

Der CAS hatte am Donnerstag den Einspruch von 68 russischen Leichtathleten gegen die Aussperrung durch den Weltverband IAAF abgewiesen. Nach jetzigem Stand darf nur Weitspringerin Darja Klischina, die seit langem in den USA lebt und trainiert, in Rio starten.

Der Kreml hofft nun, dass das IOC alle seine "sauberen" Sportler in Rio starten lässt. Diese Hoffnung drückte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow am Freitag aus: "Wir glauben, dass Sportler, die nicht des Dopings überführt wurden und auch nicht des Dopings verdächtigt werden, das Recht haben sollten, an den Olympischen Spielen teilzunehmen." Putin selber gab die Gründung eines Anti-Doping-Ausschusses bis zum 28. Juli bekannt. Der Ausschuss soll vom langjährigen IOC-Mitglied Witali Smirnow geleitet werden. Einzelheiten zu dem Ausschuss wurden zunächst nicht bekannt.

Gorbatschow appelliert an Bach: "Kollektivstrafe inakzeptabel"

Unterstützung erhielt Russlands Staatsoberhaupt dabei unter anderem von Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow (85), der sich in einem Brief an Bach wandte. "Das Prinzip der Kollektivstrafe ist für mich inakzeptabel", heißt es in dem Schreiben des früheren Staatspräsidenten der Sowjetunion.

Die NADAs aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Schweiz, Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden, Spanien, Japan, Neuseeland, Ägypten, Kanada und den USA fordern im Fall von zugelassenen Russen einen Start unter neutraler Flagge. "Das hat etwas mit Haltung zu tun. Schließlich haben wir es hier mit Staatsdoping zu tun", sagte Mortsiefer. Vor einem Monat hatte Bach nach dem "Olympic Summit" die IAAF in der Flaggen-Frage noch ausgebremst.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann warnt das IOC bei seiner Entscheidung vor rechtlichen Fallen und mahnt sorgfältige Vorarbeit an. "Wenn man sich mit den juristischen Hintergründen beschäftigt, ist vieles nicht so einfach, wie es nach außen scheint", sagte Hörmann im Bayerischen Rundfunk. Denn "ganz am Ende" würden auch die russischen Athletinnen und Athleten und Verbände, die betroffen seien, "nochmals vor Gericht ziehen". Und vor einem zivilen könnte es im Zweifel selbst für das Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen IOC schmerzhaft teuer werden.

(sid)
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